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Joschka und Herr Fischer


Moritz Leuenberger - Einige Worte zur Schweizer Premiere,  Zürich, Riffraff, 7. Juni 2011

Eigentlich wollten die Veranstalter ja den Hauptdarsteller als Redner. Doch der ist leider verhindert. Sie suchten nach einem Ersatz, einem grünen Mitglied unserer Landesregierung und schrieben deswegen die Bundeskanzlei an. Diese antwortete: Schaut doch unseren Beschluss an, zur Atomkraft auszusteigen: Die gesamte Regierung ist in corpore grün.
Sieben Plätze mochte Samir dann doch nicht offerieren und schaute sich nach einem ehemaligen Regierungsmitglied um. Nach Absagen aus Herrliberg und dem Appenzell ist man dann auf mich gekommen.

Ich bin gerne gekommen, auch wenn ich einige Befürchtungen hatte. Rückblickende Porträts bestehen mitunter in selbstverherrlichender Verklärung vergangener Leistungen. Gewiss, es gibt auch in diesem Film einige solche Stimmen im Stile: „Ja früher, da lief noch was.“ „Als wir jung waren, da fuhr die Post noch ab.“ „Ich habe ihm geraten zu kandidieren, ich habe ihn erfunden.“ Aber das sind eher Nebenfiguren. Die Hauptperson verhält sich nicht so, sondern schildert selbstkritisch und offen, was in seinem Innern vorging:

Ich bin froh, dass ein anderer Ihnen erklären kann, was sich auch bei uns allen abspielt, die wir in die Verantwortung schritten. Natürlich sind die Rollen, die unser Land zu verteilen hat, andere. Dennoch gibt es Parallelen mit jedem Schulleiter, mit jedem Gemeindepräsidenten und natürlich mit einem Regierungsmitglied.

  • Das beginnt bei äusseren Ähnlichkeiten, der plötzliche Einsamkeit vor einem leeren Tisch und gegenüber einer Verwaltungsspitze, die sich auf ein Kräftemessen einstellt.
  • Freundschaften, die nach der Übernahme von Verantwortung zerbrechen.
  • Zu Entscheiden gezwungen sein, für deren Gegenteil man zuvor eingestanden ist und zwar nicht, weil eine Grundgesinnung aufgegeben würde, sondern weil sich uns ganz andere Perspektiven zeigen. Roger de Weck weist auf einige Beispiele der Weltgeschichte hin. (Das geht übrigens nicht nur Linken oder Grünen so: Noch vor 6 Monaten wurde ein Parteiwechsel an der Spitze des UVEK damit begründet, dass jetzt endlich die Förderung der Atomkraft wieder ernsthaft vorangetrieben werden müsse.)
  • Verantwortung für Entscheide zu tragen, die man selber aktiv bekämpft hat, gefangen in einem Gremium zu sein, das anders entscheidet. Das trifft nicht nur Regierungsmitglieder. Auch wer selber vom Öl oder der Atomkraft wegkommen will, lebt in einer Gesellschaft, die von beidem abhängig ist und auch er ist deshalb abhängig und kann sich von der Mitverantwortung nicht lösen.

Der Film zeigt insbesondere bei den Auseinandersetzungen innerhalb der Grünen: Die Trennung von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik ist ein künstliches Konstrukt, das mitunter auch zur billigen Ausrede verkommen kann.

Und so spiegelt der Film auch etwas unsere schweizerische Haltung.

Wie erbärmlich ist doch die bei uns weit verbreitete Haltung, der NATO, der EU oder den USA zu raten, wie sie sich auf dem Balkan, im Irak oder in Libyen zu verhalten hätten oder wie die Liquidierung von Osama Bin Laden eigentlich kommuniziert werden müssen, gleichzeitig aber ganz selbstverständlich davon auszugehen: Wir bleiben draussen. Die Arbeit machen die anderen.

Der Film zeigt, was es heisst, Verantwortung zu übernehmen, welche Zielkonflikte, welche persönlichen Konflikte damit verbunden sind. 

Können wir dem Film vorwerfen, er sei ein Monolog? Hätte Joschka Fischer als Stellvertreter der 68er Generation zum Beispiel nicht kritisch gefragt werden müssen, was er denn nun selber tatsächlich erreicht habe und was doch nur der Lauf der Geschichte gewesen sei? Vielleicht. Aber wäre es richtig, wenn dieser Diskurs uns auch noch vorgekaut worden wäre? Ich glaube deshalb, es sei die Aufgabe der Zuschauer und Zuschauerinnen, diesen Diskurs zu führen. Der Film ist eine sehr gute Grundlage dazu. Und so bitte ich Sie, nun in diskursiver Konsumtion Ihre eigenen Assoziationen zu knüpfen.