Navigation ausblenden

Wir treten auf. Wir spielen. Wir treten ab.


Moritz Leuenberger - Abschiedsrede vor der Bundesversammlung, 22. September 2010

Das gilt für unser privates Leben, das gilt für unser öffentliches Leben.

1979 betrat ich die Bühne des Nationalrates. Es wurde damals gleichzeitig ein Ratsmitglied verabschiedet, das über 30 Jahre in diesem Saal aufgetreten war. Ich empfand dies als unvorstellbar lange und ich war mir sicher: „So lange spiele ich unter keinen Umständen." All diejenigen, die heute bei meiner Verabschiedung ähnliches denken, möchte ich warnen: Manchmal kommt es anders, als wir denken.

Als ich vor 15 Jahren die Wahl zum Bundesrat annahm, bat ich die Bundesversammlung und die Mitglieder des Bundesrates darum, mir bei der kommenden Arbeit zu helfen, um die Gräben in unserem Lande zu überwinden. Dies könne, bekannte ich, einem Einzelnen allein unmöglich gelingen.

Sie haben mir während dieser ganzen Zeit tatsächlich geholfen und dafür möchte ich Ihnen heute danken.

Zusammen mit Ihnen konnte ich eine nachhaltige Politik gestalten und insbesondere die Verlagerungspolitik, den öffentlichen Verkehr und die Klimapolitik vorantreiben. Dies gelang vor allem durch den Umbau meines Departementes, d.h. die Vereinigung von Infrastrukturen und Umwelt unter einem Dach.

Sie und ich wissen aber auch: Wir haben diese Politik nicht alleine geprägt. In der direkten Demokratie kommt die Regie den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zu. Sie sind es, die die entscheidenden Weichen gestellt haben.

Die Erfahrung mit der direkten Demokratie, die Begegnung mit den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern vor Abstimmungen, die Auftritte an zahlreichen eidgenössischen Anlässen zeigten mir: Solidarität, freiwilliger Einsatz, die gemeinsame Gestaltung unserer Politik sind kein Mythos, sondern werden gelebt.

Ich durfte das auch bei traurigen Ereignissen erfahren, wie etwa beim Anschlag auf das Parlament in Zug. All diese direkten Begegnungen mit der Schweizer Bevölkerung bewiesen mir: Unser Land ist nicht geteilt in „das Volk" und eine „classe politique".

Deswegen gilt meine Bewunderung all den Menschen in unserem Land, die politisch mitarbeiten, die freiwilligen Einsatz leisten oder sich auf Gemeindeebene engagieren, wo sie vielleicht nicht so im Rampenlicht stehen wie wir in diesem Saal, all jenen, die zwar, wie wir, Einfluss ausüben wollen, denen das aber nicht im gewünschten Ausmass gelingt.

Meine Achtung gilt ausdrücklich auch all jenen, die sich für ihre Überzeugungen einsetzen, die bei ihrer Arbeit aber scheitern, die nicht gewählt oder abgewählt werden.

Das sind keine Verlierer.

Wer vertritt, woran er glaubt, verdient nicht öffentliche Häme und Hohn, sondern Dank dafür, dass er sich einsetzt. Und erst recht verdient Respekt, wer die Kraft zum Kompromiss aufbringt, und auch den Mut, die Meinung zu ändern, denn dies ist weit anspruchsvoller, als das politische Geschehen stets nur in Sieger und Verlierer aufzuteilen. Sonst wird allmählich die Bereitschaft zerstört, unser Gemeinwesen auf allen Stufen mitzugestalten.

Ich habe in meiner Amtszeit kein besseres politisches System kennen gelernt als unsere direkte Demokratie. Ich habe aber auch kein anspruchsvolleres System kennen gelernt.

Umso mehr müssen wir unsere politische Kultur immer wieder erneuern und pflegen, nämlich unsere Stärke, die Anliegen aller aufzunehmen und in Kompromissen so zu gestalten, dass sich auch eine Minderheit in den Entscheiden wieder erkennen kann.

Wenn wir diesen inneren Zusammenhalt pflegen, müssen wir auch nicht immer wieder gegen aussen an Dogmen festhalten, die wir schlussendlich doch nicht aufrecht erhalten können.

Die Schweiz hat alles, was es braucht, um in Europa Gewicht zu haben und mitzugestalten, alles, was es braucht, um Solidarität in der Welt zu üben. Ein Land, das nur für sich leben würde, wäre so erbärmlich wie ein Mensch, der nur für sich selber lebt.

Dabei sind Konstanz und Stabilität Trümpfe schweizerischer Politik. Sie unterscheiden sich von den zuweilen häufigen Wechseln in den Regierungen unserer Nachbarländer. Diese Konstanz verleiht uns auf dem internationalen Parkett Glaubwürdigkeit und Einfluss, ich konnte das selber immer wieder erleben.

Nun, trotz aller Konstanz,

  • nachdem ich in meiner Amtszeit mit über 100 Verkehrs-, Energie-, Umwelt- und Kommunikationsministern allein aus unseren Nachbarländern zusammengearbeitet habe,
  • nachdem ich die Einwanderung von vier Bären in unser Land erleben durfte,
  • nach 115 neuen Eisenbahn- und Strassentunneln und
  • nach null neuen Atomkraftwerken,

ist die Zeit gekommen.

Wir treten auf, wir spielen, wir treten ab.

Ich danke Ihnen für das Zusammenspiel.