Lobet den Hesse, den mächtigen König der Bühnen!
Laudatio für Volker Hesse
Anlässlich der Preisverleihung 2018 der
Herbert Haag Stiftung für Freiheit in der Kirche
Luzern, 11. März 2018,
Moritz Leuenberger
Eine katholische Stiftung beauftragt einen protestantischen Politiker damit, einen Theaterregisseur zu loben.
Was verbindet die drei?
Vielleicht die Inszenierungen? Sie sind ja der katholischen Kirche nicht fremd, der Politik auch nicht, dem Theatermann schon gar nicht.
Tiara und Weihrauch, Nationalhymnen und Paraden, der Vorhang und die Bühne.
Wir treten auf, wir spielen, wir treten ab.
Die Welt ist eine Bühne, das Leben ein Auftritt. Das gilt für alle drei.
Und alle drei sehen sich immer wieder verkrustender Erstarrung gegenüber, politischen Ideologien, religiösen Dogmen, kulturellen Abkapselungen und Überheblichkeiten, die unsere Arbeit, vor allem aber die Freiheit der einzelnen Menschen bedrohen. Es sind auch diese gemeinsamen Erfahrungen, die uns heute zusammenfinden lassen.
Dennoch wage ich nicht, von einer Dreifaltigkeit zu sprechen. Das wäre Blasphemie.
Religion, Politik und Theater werden ja kaum als Harmonie wahrgenommen. Aber wir können es heute locker nehmen, denn
- die Stiftung ist ja eben gerade nicht „Die katholische Kirche“, wie der Stiftungszweck sagt,
- ich vertrete nicht „die Politik“, sonst würde ich nicht hauptberuflich eine Matinee mit Kabarett moderieren und
- der Preisträger repräsentiert nicht „Die Schweizerische Kultur“. Sonst würde er nicht überall als „Der Kanzler“ bezeichnet.
Zum Verhältnis Politik und Religion
Als ich noch im Amt war, erhielt ich von der Botschaft des Vatikans regelmässig eine päpstliche Enzyklika.
«Die Verpflichtung des Menschen zum Schutz der Umwelt» (2015) war eine.
Sie hat mich als Verkehrs-, Energie- und Umweltminister besonders interessiert und ich habe sie fasziniert gelesen. Warum finden diese glasklaren Erkenntnisse und luziden Analysen keinen Niederschlag in der Politik?
Wo sich doch Staatspräsidenten und Oppositionsführer darum reissen, zum Papst pilgern zu dürfen, (nach Rom, nicht nach Canossa.)
Auch ich tat das und bereitete mich vor, über Ökumene und Bischof Haas zu sprechen, doch Benedikt XVI fragte mich nach dem Gotthardbasistunnel und warum die Schweiz nicht in der EU sei...
Warum nur findet eine Sozialenzyklika oder die über Umwelt in der Politik kaum Niederschlag? Die real umgesetzten Entscheide zu Waffenexport oder Pränataler Implantationsdiagnose (PID) folgen praktisch immer den Dogmata des globalen Marktes.
Von professionellen Ethikern werden sie emsig und willig untermauert. Zur moralischen Legitimation ihrer Entscheide bemüht die Politik nämlich nicht etwa die Kirche, weder die protestantische noch die katholische, sondern Ethiker. Ihnen haftet nicht der Makel des Glaubens an, sie sind unbefleckte und rationale Wissenschafter – und alle beugen sie sich regelmässig dem Markt.
Zum Verhältnis Politik und Kultur
Die Spannungen zwischen Kultur und Politik entladen sich periodisch in Überzeichnungen in Film, Theater und allerlei anderen Events. Die politischen Gegenreaktionen sind ebenso erbärmlich, im Osten die Zensur, im Westen die Budgetkürzungen.
- Die Provokationen des Künstlers Hirschhorn hatten im Jahre 2004 Kürzung des Parlamentes gegenüber pro Helvetia und eine Million Franken zu Folge.
- Die politische Aktion des Theaters am Neumarkt mit einem Saubannerzug zu Chefredaktor Köppel führte ebenfalls zu einer Kürzung der Subventionen.
Nein, eine Trinitas sind Kultur, Politik und Religion nicht. Sie haben im Gegenteil Mühe, sich überhaupt zu verstehen.
Worte scheinen die Gräben zwischen Gesinnungsüberzeugung und Umsetzungsverantwortung kaum überwinden zu können.
Es fehlt am gegenseitigen Verständnis, an einer gemeinsamen Sprache, an der Kommunikation, die ja eigentlich Gemeinsamkeit bedeutet.
Kunst vermag, was Worte nicht vermögen, nämlich mit Bildern die Herzen zum Blühen zu bringen. Gefühle und Gedanken, die oft nicht in Worte gefasst werden können, werden so sichtbar und fühlbar.
Die Bühne ist eine der wichtigsten kulturellen Infrastrukturen der Gesellschaft.
Die Stiftung Herbert Haag hat Volker Hesse erkannt als einen, der sowohl kleinste als auch monumentale Bühnen vermittelnd nutzt, um verschlossene Fenster und Türen zu Wahrheiten aufzustossen, die uns sonst verborgen blieben.
Zum Beispiel die Inszenierung von
Top Dogs
Nach dem Fall der Berliner Mauer wurde der Kapitalismus konkurrenzlos, weil er sich nicht mehr moralisch mit dem Kommunismus messen musste. Der Glaube an den freien Markt als Regler der Menschheit wurde zu einem weltumspannenden Monotheismus, der nicht nur den Ärmsten der Welt keinen Hauch einer freien Entfaltung liess, sondern er beraubte auch seine eigenen gläubigen Diener der Möglichkeit, freie Menschen zu sein. Die Manager sind zu Sklaven geworden, zu Top Dogs, wie sie Volker Hesse nannte, die rund um die Welt gejagt werden, gemäss dem Motto: «Ubi boni, ibi patria»
Gewiss, über die Unmenschlichkeit der Profitmaximierung des globalisierten Kapitals ist politisch und auch ökonomisch viel Kluges analysiert und gemahnt worden.
Doch die Inszenierung von Top Dogs hat uns die Tragik der betroffenen Manager sehr viel wuchtiger erfahren lassen als es kritische Pamphlete vermochten.
Wir mussten damals als Zuschauer und Zuschauerinnen verschiedene räumliche Perspektiven einnehmen, um die Betroffenen aus immer anderen Blickwinkeln zu erleben. So wurden die wahren Abgründe geöffnet, in welche die Gefangenen des Kapitals fallen mussten.
Gotthard
Volker Hesse inszenierte sowohl den Durchstich des längsten Tunnels der Welt, zweitausend Meter unter Berg, als auch die Eröffnung des Betriebes des Gotthardtunnels.
Der Gotthard wurde von Gott geschaffen. Und am Gotthard wirkte auch immer der Teufel mit. Gotthard ist sowohl Trennung als auch Zuflucht. Schriftsteller beschreiben ihn als abweisendes Gebirge und als wohlige Gebärmutterhöhle.
Seit Jahrhunderten wird der Gotthard überwunden, bezwungen, unterfahren und untertunnelt.
Der Glaube, alles sei machbar, der Enthusiasmus für neue Technologien trieb Politik und Ingenieure zu Innovationen, die sie immer wieder als Weltrekorde feierten, «längster Eisenbahntunnel», «längster Straßentunnel», «erster Alpendurchstich auf Basishöhe» und dann «längster Tunnel der Welt».
Soll der ungestümen Mobilität, dem anschwellenden Güterverkehr alles, die Natur, die Alpenwelt geopfert werden?
Stets herrschte bei der Bergbevölkerung im Uri und in der Leventina, eine tiefe Ehrfurcht vor dem Berg und es gab Warnungen vor der Hybris. All die vielen Sagen vom Teufel, der sich für die Eingriffe rächen werde, zeugen davon.
Noch heute erzählt man sich dort oben, wie der Teufel, als die erste Postkutsche (Vorläufer Postauto) über den Pass fahren wollte, zur Bedingung stellte, jährlich einige Goldvreneli zu erhalten. Er nannte dies eine Subvention und falls sie eines Tages nicht mehr überwiesen werden sollte, fordere er die erste Frau, die auf dem Bock der Kutsche sitzen wird, für sich. (Der Fall sei noch nicht erledigt.)
Beim Brand im Straßentunnel nach einer Frontalkollision eines Lastwagens mit Personenautos im Jahre 2001 zeigte sich mir ein Inferno von ausgebrannten Automobilen mit verkohlten Leichen, einer zerstörten Ablüftung, die das Grauen beschleunigte, und einen total versengten Tunnel. Ein kleiner menschlicher Fehler kann die Technologien, die wir schufen, zu einem schauerlichen Monster der Zerstörung explodieren lassen. Die Freiheit, die wir mit unseren Erfindungen schaffen wollten, wird dann zum Tod und wir zu Opfern.
Diese Ambivalenz ist in den Seelen der Einwohner nördlich und südlich vom Pass durchaus verwurzelt. Volker Hesse hat sie in Szene gesetzt. Dies wurde der Politprominenz, die aus ganz Europa anreiste, und den Fernsehzuschauern aus aller Welt vermittelt.
Es gab auch Reden, doch was bewirken sie im Vergleich mit dem Schauspiel? Gewiss kann, und muss, die zuständige Politikerin in der Eröffnungsrede den Arbeitern, (die zwar in einer anderen Halle sitzen müssen als die VIPs), danken und sie kann den Angehörigen derer, die bei den Arbeiten ihr Leben liessen, kondolieren. Doch solche Worte perlen als immer wieder gehörte obligate Floskeln an den festwilligen Zuhörern ab.
Wie ganz anders fuhr da «das Ballett der Arbeiter» ein. Da vibriert das Zwerchfell mit. „Atem beraubend“ ist da für einmal nicht eine Floskel. Das ist nicht eine kühle Botschaft ins Hirn, das geht direkt in den Bauch. Volker Hesse hat sie zur Aufführung gebracht mit Laien, die dem missbrauchten Wort «Volk» Gestalt verliehen. Das war ein Spektakel in der vierten Dimension.
Nicht nur zur Freude der Auftraggeber. Vor der Eröffnung zeichnete sich eine geradezu patriotische Kampagne von nationaler Selbstverliebtheit ab und die Verantwortlichen versuchten Druck auf unseren Preisträger zu machen, er möge doch in erster Linie den Nationalstolz prangen zu lassen.
Aber der heisst nicht vergeblich Kanzler. Er weiss, wie mit politischem Druck umzugehen. Die Inszenierung war mit ihren mythologischen Verknüpfungen weit nachhaltiger als der offizielle Slogan: «Weltrekord am Gotthard».
(Die Furcht vor des Teufels Rache ging jedenfalls an der Feier um. Mit Recht? An der Eröffnung waren drei politische Präsidenten zugegen: Hollande, Renzi, Schneider-Ammann. Keiner ist mehr im Amt. Einzig Kanzlerin Merkel, eine Frau, konnte sich einstweilen retten. Wohl weil der Regisseur auch Kanzler genannt wird.)
Wilhelm Tell
Unser Wilhelm Tell ist in Geschichtsbüchern, Reden und auch manchen Aufführungen zu einem helvetischen Übervater geworden, von dem viele glauben, er habe wirklich existiert. Er wurde auch gegenüber der Charakterisierung durch Schiller in einer Art und Weise verformt und verkitscht, dass heute sieben von zehn Schweizern überzeugt sind, Tell sei der Ehemann von Heidi und sie hätten im Albisgüetli geheiratet.
Volker Hesse hat uns, ganz im Sinne von Schiller, endlich statt einem Kämpfer gegen fremde Richter aus der habsburgischen EU einen apolitischen Einzelgänger gezeigt und seine irrationale Seite, seine Egozentrik herausgestrichen. Da ist ein dramaturgischer Akt der Befreiung von Mythen, die viele vereinnahmen und als bare Münze für politische Dogmen missbraucht werden.
Zwingli
In der Akte Zwingli wurde das protestantische Grossmünster mit seinem Charme einer ungeheizten Anstalt für sündige Büsser zur barocken Bühne für ein üppiges Drama.
Ein katholischer Freund gestand mir nach der Aufführung: „Nach 500 Jahren hat das Grossmünster endlich wieder katholischen Odem verströmt.“ Das Welttheater von Einsiedeln eroberte die Zwinglistadt zurück. Der maliziös ins Monströse und etwas Lachhafte aufgeblasene Übervater Luther beherrschte optisch den Raum und, wir fühlten es mit, bedrängte das Selbstbewusstsein von Zwingli. Nein, dieser Reformator war kein Held, sondern ein Mensch mit Zweifeln, Nöten und Schwächen.
Es sind Flüchtlinge, Kriegsgeschädigte, Verängstigte, die in dieser Kathedrale Zuflucht finden, in ihr Heimat erfahren und nicht allein gelassen werden.
Am Schluss sahen wir ihn hoch auf dem Dach über der dumpf schweigenden Masse und über brennenden Fässern, die an die Inquisition denken liessen. Und die Zuschauer fühlten:
Das war die Hoffnung der Reformation: Diese Schrecken gegen die Würde der Freiheit zu überwinden.
Auseinandersetzung mit ideologische Erwartungen an den Regisseur
Die Zusammenarbeit des Regisseurs mit seinen Auftraggebern war, obwohl er ja jeweils ausgesucht und beauftragt worden war, weder bei der Akte Zwingli, noch beim Welttheater in Einsiedeln, noch bei der Gottharderöffnung einfach. Einmal wünschte man sich mehr Patriotismus, das andere Mal keine missverständlichen Slogans wie «Gott ist tot» und beim Beginn im Theater im Neumarkt brannte es im Dach der Kulturpolitik in Zürich lichterloh. Es stand die Schliessung des Theaters zur Diskussion.
Und das gehört eben auch zur Rolle des Mittlers: Die Bühne von Volker Hesse ist weiter als die Bretter des Theaters. Damals in Zürich, als der Frontalangriff auf das Neumarkttheater geblasen wurde, spielten er und Stefan Müller mit einem stadtbekannten Koch in einem Restaurant, in einem Hörsaal der ETH, sie zogen mit einer Tageszeitung eine Veranstaltungsreihe auf und sie spannten mit einem Jugendclub zusammen. Und siehe da: Das Zürcher Stadtparlament bewilligte alle Subventionen. Volker Hesse weiss eben, mit Laien umzugehen.
Kann Theater die Welt verändern?
Ein Lob der Stiftung!
Sie zweifelt nicht daran. Sie hat in erster Linie die Freiheit in den Kirchen im Auge, die Freiheit in den Weltreligionen, die Freiheit in Kultur und Politik. Das zeigen die bisherigen Preise, die sie vergab. Der heutige zeigt es aber ganz besonders:
Ein Lob dem Preisträger!
Mit barocker Expressivität zeigt er uns immer wieder:
Wer für die Freiheit in der Kirche kämpft, kämpft auch für die Freiheit in der Welt. Theater kann die Welt verändern.
Lobet den Hesse, den mächtigen König der Bühnen!