Theater Hora
Laudatio zur Übergabe des Preises der Paul Schillerstiftung an das Theater Hora
Zürich 29. Oktober im Theater Rigiblick, Moritz Leuenberger
Die Welt ist eine Bühne, das Leben ein Auftritt.
Theater versucht, die Welt zu ordnen, die Geschichte zu erklären, es diskutiert mit uns, was der Sinn des Lebens, was das menschliche Sein bedeutet.
Wie schwierig das ist, erleben wir selber, wenn wir versuchen, diffuse Gefühle und ungeordnete Gedanken in Worte und Sätze zu fassen. Das bereitet uns zuweilen grosse Mühsal und Qual,
etwa so, wie wenn wir am Radio einen Song gehört haben, seinen Namen vergessen haben, ihn im CD Laden der Verkäuferin vorsingen wollen.
Gedanken zu ordnen und sie dann auszudrücken ist noch viel schwieriger.
Die Philosophie, die Literatur und auch die Politik versuchen es.
Sie alle wollen die Welt begreifen und gestalten.
Das Theater zeigt diesen Umsetzungsprozess besonders plastisch.
Es schält aus dem Chaos und der Unübersichtlichkeit der Welt einen geordneten Rahmen.
- Autoren und Autorinnen fassen ihre Ansichten in ein Skript,
- die Regisseure übersetzen uns ihre Lesart davon,
- die Schauspieler und Schauspielerinnen interpretieren das Stück ihrerseits.
Dazu sind dem Theater enge Grenzen gesetzt und diese Grenzen machen sein Wesen aus:
Der begrenzte Raum der Bühne, die begrenzten Requisiten, die begrenzte Zeit. Dazu kommen die Regeln der Sprache, die zusammen mit der Zeit die grosse Schwierigkeit bilden, um unsere Gedanken auszudrücken.
Auch in der Politik werden Überzeugungen und vermeintliche Wahrheiten,
- in begrenztem Raum formuliert, an einem Rednerpult oder vor einer Kamera.
- Dazu steht nur terminierte Zeit zur Verfügung. Im Fernsehen ist das meist weniger als eine Minute (ausser man hat ein eigenes TV mit einem eigenen Journalisten, der fragt, was man will).
- Deswegen wird in allen Theatern, auch den politischen und medialen immer etwas übertrieben und zugespitzt.
Theater und Politik haben Manches gemeinsam.
Auch ihre Ensembles sind begrenzt.
Wer darf mitspielen? Wer gehört auf die Bühnen des Theaters oder der Politik?
- Wer darf die Hauptrolle spielen?
- Wer übernimmt die Rolle des Bösen oder der Guten?
- Wer darf überhaupt auf die Bühne?
- Wer darf in die Arena?
- Darüber gibt es heftige Diskussionen, ja eigentliche Kämpfe und es gibt bittere Tränen, auf den Probebühnen und im Bundeshaus.
Was sind die Voraussetzungen um mitzuspielen?
Es gab eine Zeit, auch bei uns in der Schweiz, da durften die Frauen keine Rolle in der Demokratie übernehmen, weil sie, wie argumentiert wurde, zu viel Gefühl und zu wenig Verstand hätten.
(Wie froh war ich, mit einer Frauenmehrheit im BR zu sein. Vorher hatte es einfach zu viel Verstand..)
Muss, wer auf die Bühnen des Theaters und der Politik tritt, er eine Ausbildung haben?
Wegen dieser Frage ist die Demokratie als Staatsform umstritten: Sokrates hat sich lustig gemacht:
Um ein Haus zu bauen, gehe man zum Architekten, um ein Schiff zu bauen zum Ingenieur. Ausgerechnet den schwierigsten Bau, den Staat, überlasse man allen.
Noch heute finden viele, ein Staat müsste eigentlich von Fachleuten geleitet werden; das sei doch effizienter, so wie in Singapur und China. Dort muss man nicht so lange auf ein Fussballstadion oder ein Kongresshaus warten.
Wir haben in der Demokratie eine andere Meinung und wissen:
Die Lebenserfahrung als Hausfrau oder als Handwerker befähigt jeden und jede, die Schwierigkeiten des Staates mit gesundem Menschenverstand abzumessen und entsprechend zu wählen und abzustimmen.
Das bedeutet Verantwortung und entsprechend müssen sich alle auf Wahlen und Abstimmungen vorbereiten, ihre Rolle als Staatsbürger lernen.
Diese Idealvorstellung einer Demokratie hat Hora im Theater verwirklicht und zeigt so eine weitere Parallele zwischen Politik und Theater aus einem neuen Blickwinkel:
So wie wir die Leitung eines demokratischen Landes nicht einfach Ökonomen oder Strassenbauern anvertrauen, so ist Theater nicht eine Spezialwissenschaft für Literaten oder für perfekte Sprechtechniker. Die Bühnen des Theaters dürfen und sollen alle betreten.
Nicht unvorbereitet, nicht aus dem hohlen Bauch, wie die in Strassenumfragen spontan Befragten.
So wie sich die Stimmbürger auf Wahlen und Abstimmungen vorbereiten, so bereitet sich jeder, der auf die Bühne tritt, vor.
Auch die Schauspieler von Hora genießen eine Ausbildung, eine harte Ausbildung.
Da wird geübt und geprobt.
Und, wie bei der direkten Demokratie, glückt auch nicht immer alles auf Anhieb. Es braucht zuweilen einen zweiten Anlauf, wie es zuweilen auch eine zweite Abstimmung braucht. Das war beim Frauenstimmrecht und bei der UNO Abstimmung und vielleicht gibt es auch in Zukunft das eine oder das andere, das wiederholt werden muss.
So wie die Demokratie trotz aller Kritik und Verbesserungsfähigkeit Erfolge um die ganze Welt feiert, so feiert Hora Erfolge auf allen Bühnen.
Wieso?
Zunächst: Ausser wenigen Berufskritikern besucht ja niemand das Theater mit dem Zweck, um es zu kritisieren. Ins Theater gehen Menschen, die sich mit den Fragen des Lebens beschäftigen, die ihren um ihren Horizont erweitern möchten, die sich unterhalten wollen.
Sodann: Jeder Schauspieler und jede Schauspielerin interpretiert und prägt eine Rolle neu. Dazu ist seine eigene Persönlichkeit entscheidend. Wäre das nicht so, könnte man Hamlet nicht ständig neu spielen, sagte Christoph Waltz kürzlich am Filmfestival Zürich.
Die Persönlichkeiten von Hora prägen bisherige Rollen völlig neu und sie öffnen uns Zuschauern Fenster zu ganz neuen Einblicken über die gespielten Rollen, über das gespielte Stück, aber auch Erkenntnisse über das Leben anderer und damit über uns selber.
Die Schauspielerinnen und Schauspielern von Hora (die Horaerinnen und Horaer,) entfalten mit ihrer eigenen Persönlichkeit eine dramatische Kraft und vermitteln uns Einsichten, die uns vorher verborgen blieben:
Hora und seine Erfolge zeigen: Jeder Mensch, jede Persönlichkeit, jedes Temperament prägt unsere Kultur und damit unser Land.
Was ist Kultur?
Ich habe als Regierungsrat in Zürich von Seiten der damaligen Opernhausleitung immer wieder gehört:
„Wir brauchen in der Schweiz doch nur zwei Opernhäuser, Genf und Zürich. Dort werden die besten Profis ausgebildet, die auch an die Weltbühnen können. All die Provinz- und Amateurtheater können da nicht mithalten. Sie zu unterstützen können wir uns nicht leisten.“
Ich habe aber auch gehört: „Es genügt ein Filmfestival, das in Locarno; wir brauchen nicht noch eines in Zürich. Sonst verlieren wir die Sponsoren.“
(Wir kennen auch die Meinung „Es braucht überhaupt keine Filmfestivals und auch keine Opernhäuser; die eigentliche Kultur ist Jodeln und Schwingen.“)
Die Vielfalt der Kultur in unserem Land ist eben gerade ihr Wesensmerkmal. So wenig, wie man Kultur auf eine Sparte reduzieren darf, so wenig darf man sie auf ihre professionellen und damit teuren Häuser der Städte beschränken. Alternative, kleinere, lokale, neue und vor allem auch Laientheater sind Bestandteil der schweizerischen Kultur.
Hora entzaubert in diesem Sinn den Kult um professionelle Perfektion.
Wie steril es doch wirkt, wenn in einem Film Kriminalkommissare und Staatsanwälte alle mit derselben sonoren Stimme herumtigern, wo wir doch wissen, dass viele Vertreter des öffentlichen Lebens in Wirklichkeit mit hoher quängeliger Stimme dahinstottern. (Ich kenne meine Imitatoren...)
Eine Gesellschaft, eine Demokratie leben von Verschiedenheit.
Der Versuch der Gleichschaltung war immer menschenfeindlich. Erst die Vielfalt, erst die Irritation der Eintracht macht eine lebendige Gesellschaft aus.
Diese Irritation zeigt sich nicht nur dialektisch, als rationaler Widerspruch, sondern als geistiges und emotionales Aufrütteln steriler Eintracht.
Die deutsche Sprache weist uns darauf hin:
Das Wort „Be – einträchtigung“ fordert die Eintracht heraus und es zeigt uns: Beeinträchtigung gehört zu einer lebendigen Gemeinschaft, sie gehört zum Leben von uns allen. Ohne sie verkommt eine Gesellschaft zu einer langweiligen, einförmigen Gleichschaltung.
Ich habe es damals mit Cyrill erlebt: Das Gespräch nahm nie den Verlauf, den ich eigentlich rational ansteuerte. Da gab es für mich immer überraschende Hacken, die er schlug und das war eines der spannendsten Fernsehinterviews, wie mir Rückmeldungen zeigten.
Und so weist uns Hora zu nichts weniger als zum eigentlichen Sinn des Lebens:
Durch die Spontanität, durch das Temperament und die Persönlichkeiten der Schauspielerinnen und Schauspieler erleben wir eine neue Freude an der Welt. Hora lässt den Funken der unkomplizierten und überraschenden Gedankengänge auf uns Zuschauer übergehen.
Die Welt ist eine Bühne. Das Leben ein Auftritt.
Heute Abend wird thematisiert, dass jeder Auftritt auch aus Scheitern besteht.
Das Scheitern wird als gesellschaftliches Thema zwar immer wieder diskutiert. An Diplom- und Maturafeiern treten immer wieder erfolgreiche Geschäftsleute wie etwa Steve Jobs oder Edgar Forster Wallace auf.
Immer erzählen sie uns, wie sie es schwierig gehabt haben in der Jugend, wie sie einmal gescheitert sind (aus der Schule geflogen, aus der eigenen Garage geflogen, Eltern nicht gekannt, Drogensucht etc, etc) .
Aber, das ist ihre Botschaft: „Ich habe es trotzdem geschafft!“
Was geschafft? Ein glücklicher Mensch zu sein?
Danach tönt es in der Regel nicht, sondern Erfolg gehabt zu haben.
Dass wir uns nicht nur an diesen Werten orientieren, zeigt uns Hora.
Das Leben ist keine Pferderennbahn, wo jeder der schnellste sein muss und wer es nicht schafft, wird verwurstet.
Leben bedeutet Freude und Lust. Nicht jedes Scheitern muss „überwunden“ werden. Scheitern gehört zum Leben.
Was ist das Leben?
Das ist eine politische Frage, über die wir letztes Jahr abgestimmt haben und über die wir demnächst wieder abstimmen.
Das Wesen der Menschen besteht nicht nur darin, Gewinne zu produzieren.
Mensch sein bedeutet Lebenslust und Freude und das ist etwas vollkommen anderes als der Wert, der zwischen Käufer oder Verkäufer gemessen und in Boni bewertet wird. Die Menschen sind kein Humankapital.
Leben bedeutet nicht den Wert, sondern die Würde des Menschen. Und diese ist unteilbar.
Eigentlich wissen wir das ja alles. Aber Hora zeigt uns die Antwort mit einer Wucht und einer Kraft, die uns allen einfährt und direkt unser Herz berührt. Das ist auch der Grund des internationalen Erfolges.
Schiller (nicht derjenige der Stiftung, sondern der Fridrich) umschrieb diese Wirkung des Theaters auch:
„So wie die sichtbare Darstellung mächtiger wirkt als toter Buchstabe und kalte Erzählung,
so wirkt die Schaubühne tiefer und dauernder als Moral und Gesetz.“
Diese kulturellen Verdienste ehrt die Schillerstiftung heute mit einem Preis. Sie ehrt die Tatkraft derer, die mit riesigem Einsatz die Würde von Menschen mit den Mitteln des Theaters zutage fördern.
Sie zeigen mit ihrer immensen Arbeit auch, was Gemeinnutz ist. (Es gibt Leute, die glauben, Gemeinnützigkeit definiere sich danach, ob man die Leistung von den Steuern abziehen kann. Daraus schliessen sie dann, das WEF und die FIFA seien besonders gemeinnützig, weil sie keine Steuern zahlen....)
Wahrer Gemeinnutz schöpft aus dem Grundquell des Einsatzes von Menschen für Menschen. Menschlichkeit kann nicht einfach vom Staat verordnet werden, der Staat ist ganz im Gegenteil auf die mitmenschliche Tatkraft angewiesen.
Hora, seine Gründer, seine Promotoren, seine Schauspielerinnen und Schauspieler erbringen diesen Einsatz auf der Bühne.
Die Welt ist eine Bühne, das Leben ein Auftritt.
Der heutige Abend beweist es hautnah.
Hora hat die Bühne betreten und die Welt erobert.
Mit seinen Auftritten zeigt es der Welt, was die Würde des Lebens ist.