Dimitri
Zum 80. Geburtstag von Dimitri, Verscio, 18. September 2015
Moritz Leuenberger
Quando arriva Dimitri, i Consiglieri federali non sono mai lontani!
Ognuno dei suoi spettacoli è stato visto almeno da un membro del Consiglio federale.
Non mi ricordo, ma lo so: Nel 1972 il Consiglio federale in corpore si trasferì a Brissago per gustare collegialmente la mitica «Scodella Dimitri» di Angelo Conti Rossini. Erano i tempi felici della vera consensualità e oggi conosciamo il su fondo.
Parecchi anni dopo, ricordo una Consigliera federale di Ginevra che cercava sempre di ridere come Dimitri. Era pettinata proprio come lui, e solo raramente, in occasione delle sue visite in Iran, si copriva la chioma con un foulard muselmano.
Zum 75. Geburtstag von Dimitri kam Ueli Maurer nach Verscio - mit dem Militärvelo.
Zum Preis für das Lebenswerk von Dimitri kam Doris Leuthard ins Fernsehstudio. Sie war ganz verzückt; das sah man an ihren grossen leuchtenden Augen. Ma anche Dimitri sembrava abbastanza contento, per non dire estasiato...
Il clown e la politica sono sempre stati vicini.
Als ich als junger Nationalrat die politische Bühne betrat, klärte mich ein alter Hase auf: „Weißt du warum das Bundeshaus eine Kuppel hat? – Hast du etwa schon einen Zirkus mit Flachdach gesehen?“
Politiker haben eine besondere Affinität zum Zirkus und zum Clown:
Es gibt solche mit Elefantenhaut und solche mit einem Elefantengedächtnis.
Es gibt Taschenspieler, die uns etwas vorgaukeln. Es gibt Dompteure und Jongleure. Sie tanzen, wie ein Clown auf dem Seil, sie üben den Spagat und alle wollen sie in die Arena. Dort vollführen sie dann öffentlich einen Salto mortale nach dem anderen.
Dimitri war sehr viel weiser: Er hat seinen letzten Salto mortale mit fünfzig vollführt. So klug ist nicht jeder Politiker. Mancher hat sich auch noch in hohem Alter einen Purzelbaum gewagt und seine Karriere ganz abrupt beendet.
Doch die Verwandtschaft zwischen Clown und Politik wurzelt tiefer als in Wortspielen.
Der Clown spielt in der Politik seit Jahrhunderten eine gewichtige und zentrale Rolle. Ich meine nicht die Politiker, die von sich selber gar nicht merken, dass sie sich zum Clown machen. Ich meine den Clown als Narren, der eine kritische und moralische Rolle gegenüber den Mächtigen einnimmt. Die Menschen brauchen den Narren und deswegen braucht der Narr seine Freiheit.
Abbiamo bisogno dei buffoni, e il buffone ha bisogno della sua libertà.
Das ist nicht nur unter den Königen von Shakespeare so und nicht nur in Diktaturen. Auch in einer Demokratie hilft zuweilen nur noch ein Clown.
Der Politiker sucht Macht, der Clown hinterfragt die Macht.
Il politico aspira al potere, il clown mette in discussione il potere.
Über den Clown kann der Politiker lachen, über sich selber meist nicht.
Wenn der politische Gegner über ihn lacht, ist er beleidigt.
Wenn der Clown über den Politiker lacht, ist er stolz.
Wenn er karikiert wird, dann ist er jemand. Imitiert zu werden, ja überhaupt erwähnt zu werden, ist eine Ehre, die der Politiker sucht. Er kämpft um Aufmerksamkeit, denn das ist das Schicksal des Politikers in der Demokratie: Bevor er gehört wird, muss er gesehen werden.
I clown, i pagliacci, i buffoni hanno un ruolo politico, ma non parlano la lingua del potere. Non istigano all’agitazione, alla resistenza o al boicottaggio. Si esprimono nel linguaggio dell’arte. La loro mimica, il loro canto, la loro espressione toccano direttamente il nostro cuore, la nostra anima.
È un linguaggio diverso da quello della politica. Quando l’arte si trasforma in agitazione politica, si avvicina alla politica diretta e perde la sua indipendenza morale e la sua innocenza.
Wenn Kunst zu politischer Agitation verkommt, nähert sie sich der direkten Politik und sie verliert ihre moralische Unabhängigkeit und Unschuld.
Ogni artista è tuttavia anche un cittadino. Jeder Künstler ist auch Staatsbürger.
In der direkten Demokratie bringt er sich ein, engagiert sich. Das sind zwei verschiedene Rollen, die Dimitri sehr wohl kennt und er lebt diese beiden Rollen beispielhaft.
Dimitri ist Clown und er ist Citoyen!
Immer wieder hat er seine Gefühle über das Unrecht in der Welt als Demokrat kundgetan. Er hat Flüchtlinge aus Chile aufgenommen, er war traurig nach der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative, er sprach öffentlich (in Radiosendungen) davon, was er in Afrika, wo er sich einsetzte, erleben musste und davon, wie er selber in einem Behindertenheim tätig war. Und wir wissen alle, ihn bewegt das jetzige Geschehen um Flüchtlinge in Europa genauso wie es uns alle bewegt.
Dimitri hat uns als Citoyen auch vorgelebt, was Schweizer Kultur bedeutet.
Dimitri war für mich als Bundesrat immer das Beispiel dafür, was Schweizerische Kultur ausmacht, und ich versuchte das immer wieder mit ihm als Beispiel zu erläutern.
Schon als Regierungsrat des Kantons Zürich, wo ich für die Kultur zuständig war, aber später auch im Bundesrat habe ich es immer wieder gehört:
„Unsere wahren Traditionen sind das Jodeln und das Alphorn. Das ist Schweizer Kultur.“ Oder: „Wir können es uns in unserem kleinen Land nicht leisten, die Ausgaben für die Kultur derart zu verzetteln. Wir müssen Schwerpunkte setzen. Zwei Opernhäuser genügen: Genf und Zürich!“ (Ma ho sentito anche: «Il Festival del film di Locarno è sufficiente; non serve un festival del film anche a Zurigo...).»
Schweizerische Kultur besteht nicht nur im Opernhaus von Genf und Zürich (darin besteht sie auch), nicht im Hornusserfest oder im Treichelnschwingen (darin besteht sie auch), nicht nur im LAC, Lugano Arte et Cultura (darin besteht sie vor allem), sondern eben in allen kulturellen Ereignissen, die in unserem Land gelebt werden, zusammen. Keine dieser wichtigen Institutionen kann für sich in Anspruch nehmen, allein die Schweiz auszumachen. Die Schweiz lebt von ihrer kulturellen Vielfalt über Sprachgrenzen, über die Grenzen von Stadt und Land hinaus und auch über die Generationen hinaus. Dieses Weitergeben von kultureller Erfahrung an künftige Generationen begründet Tradition und Identität.
Per questo principio, per questi ragioni, Dimitri e il suo teatro die Verscio sono stati per noi un modello sul fronte della cultura svizzera.
Es ist Dimitri, es ist die Schule von Verscio, in welche junge Leute aus allen Sprachregionen aus Europa und der Welt pilgern, um sich ausbilden zu lassen. Das macht die schweizerische Kultur aus und das lässt sie weiterleben.
Dimitri selber sagt heute noch mit Stolz: Ich bin bei Marcel Marceau zur Schule. Wie viele werden sagen: Ich bin bei Dimitri zur Schule. Ich habe mehrere solche kennengelernt, die das heute sagen: Alle Autostopper in dieser Gegend, die ich mitnehme, sagen es, Akrobaten, Ursus & Nadeschkin, und viele andere sagen es. Sogar Köche wie Conti Rossini, Schöpfer der Scodella Dimitri, die der Gesamtbundesrat schlürfte, bekannt als “Der Anarchist mit der goldenen Pfanne“, schrieb in seinem Buch: „Dimitri kennt man in Europa und Amerika; ich bin stolz, dass ich ihn kennen darf und dass ich mein Dessert nach ihm taufen durfte.“ (Die Scodella Dimitri gibt es übrigens noch heute im Restaurant Orsini in Zürich und vor etwa drei Jahren hörte ich zwei Banker fragen, was das denn sei. Der Kellner erklärte: „Diesen Dessert hat ein berühmter Clown für den Schah von Persien kreiert.....“
Das ist die eine Rolle von Dimitri, die als Citoyen. Doch sie wäre nichts, wenn er nicht auch seine eigentliche Berufung, die des Künstlers, des Clowns meisterhaft spielen würde.
Seit unserer Jugend verzaubert er uns In dieser Rolle verzaubert er uns und er ist uns treu geblieben. Er weckt in uns eine Fröhlichkeit, die wir vorher gar nicht kannten. Ich hörte Dimitri am Radio sagen: „Meine Wünsche sind alle so schön in Erfüllung gegangen und ich will das auch weitergeben.“
Das ist auch ein Beitrag zu politischen Demokratie, dass die Leute nicht immer nur an ihre Sorgen denken. Die Leute zu verzaubern, sie fröhlich zu stimmen, in ihnen Heiterkeit zu wecken ist ein kultureller und daher auch ein politischer Wert. (Es gab ja eine Zeit, da machte ein Mitglied des Bundesrates auf allen Fotos einen sauren Stein. Da braucht es zuweilen ein Clown, der ihn aufheitert. Das ist eine gute Tat für das Vaterland.)
Wo Dimitri ist, sind die Bundesräte nicht weit. Gott sei Dank, denn so lange sie in seiner Nähe sind, ist unser Vaterland noch nicht verloren.
Dimitri, du hast uns viel geschenkt. Wir möchten dir danken und wir gratulieren dir.
Ci hai regalato molto, caro Dimitri. Grazie e tanti auguri.