Langzeit und Endlager
Eröffnung der gleichnamigen Ausstellung im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen
Festvortrag im Münster, Schaffhausen, 23. Oktober 2013
I. Die zeitliche Dimension des Planens
Wie weit können wir planen?
Schon nur die Planung von Entscheiden, die wir ganz selbständig fassen können, erweist sich oft als unverlässlich. Unsere Vorstellungen, wie wir unser Leben oder unseren Beruf gestalten wollen, unsere eigenen Überzeugungen, an die wir einst felsenfest glaubten, passen wir neuen, äusseren Umständen und auch unseren eigenen persönlichen Veränderungen an. Wir wechseln wie ein Schiff, das sich immer wieder auf neue Winde und Wellen einstellen muss, den Kurs, weil wir zu neuen Einsichten gelangen. Mehr noch, wir ändern auch das Ziel selber, wir brechen zu neuen Ufern auf, weil wir die eigene Meinung ändern.
Wie mancher – und wie manche - hat sich doch in der Jugend geschworen, nie heiraten zu wollen. Und hat sich dann anders entschlossen.
Planung wird schon etwas schwieriger, wenn ich mit einem Vertragspartner oder mit einer Lebenspartnerin vorsehen will, wenn also ich und du zusammen einen Plan ausführen wollen. Mehr als 40 000 Mal schwören sich jedes Jahr Paare in der Schweiz die ewige Treue. Mehr als 20 000 Mal sprechen Schweizer Gerichte eine Scheidung aus. Erstens kommt es anders und zweitens als man meint.
Um eine weitere Dimension komplexer ist die politische Planung eines Gemeinwesens. Die Rahmenbedingungen, die sich innerhalb und ausserhalb der Gemeinschaft ändern, sind um einiges unberechenbarer. Dazu kommt, dass eine grosse Anzahl der Entscheidungsträger anonym, also gar nicht bekannt sind.
Voraussagen in einem Staat sind also noch schwieriger als in einer Ehe.
- So wurde vorausgesagt, dass das rasche Wachstum des Verkehrs dazu führen werde, dass die Städte eines Tages im Pferdemist ersticken würden. Dank der Erfindung der Eisenbahn und der städtischen Strassenbahnen konnte dies abgewendet werden.
- Dafür entstand eine heftige Diskussion über die gesundheitlichen Schäden, welche die unnatürliche Geschwindigkeit der Eisenbahnen von über 35 Stundenkilometern verursachen würde.
- Das Bankgeheimnis wurde als in der Schweizerischen Volksseele verankert und gegenüber allen Gegnern als bissfest erklärt.
Wenn sich die politische Planung über die Zeit einer Amtsperiode hinaus erstreckt, wächst die Unberechenbarkeit, denn die Nachfolger könnten ja anders entscheiden. Und noch viel schwieriger wird es, wenn sich die Planung über Generationen hinaus erstreckt, denn wir kennen die Menschen nicht, die künftig die Geschicke des Staates leiten, geschweige denn wie sie denken und handeln werden.
Pharaonische Planung für die Ewigkeit
Herrscher grosser Reiche planen zwar in schier unendlichen Zeithorizonten. Das fällt ihnen auch deshalb leicht, weil sie von ihrer eigenen Unsterblichkeit überzeugt sind. Die Pharaonen liessen sich in den Pyramiden einbalsamieren. Tutanchamun sieht noch heute beinahe so ewig jung aus wie Michael Jackson und gleicht ihm auffallend. Und doch konnte er nicht alle seine Pläne verwirklichen. Der chinesische Kaiser Qin liess sich von einer riesigen Terrakotta-Armee beschützen. Doch der Plan ging nicht auf. Die wichtigsten Krieger sind treulos desertiert in das Historische Museum von Bern. Statt den Kaiser Qin schützen sie nun die Eidgenossen vor den fremden Richtern in Brüssel.
Führer, die sich selber für Gott – oder für seinen Auserwählten – halten, planen ihr eigenes Reich, das ihnen und nur ihnen gehört, in Dimensionen der Ewigkeit. Sie können umso leichter ans Werk gehen, als sie uneingeschränkte Macht ausüben und alle Gewalt ihres Staates in ihrer Person vereinen. Und dennoch ist Persepolis heute eine Ruine und tausendjährige Reiche währten einen Bruchteil ihrer geplanten Dauer.
Planung in der Demokratie
Ja, die Diktatoren haben es nicht leicht. Aber noch viel schwieriger haben es Politiker und Politikerinnen in demokratischen Staaten.
- Im Gegensatz zu Diktaturen ist hier die Macht breit verteilt und es gibt Wahlen, die immer wieder neue Entscheidungsträger bestimmen, die dann eine andere Meinung vertreten als ihre Vorgänger.
- Hier sind die Interessen und Glücksansprüche jedes Einzelnen in der Verfassung garantiert und es sollen alle Minderheiten berücksichtigt werden.
Es muss die Unwissenheit darum sein, in einer Demokratie auf Individuen und Minderheiten Rücksicht zu nehmen, die immer wieder die Meinung aufkeimen lässt, ein Staat könne geführt werden wie ein Unternehmen.
- In Demokratien, zu denen zwingend auch kritische Medien gehören, ändert sich die so genannte öffentliche Meinung stets.
Man wirft Politikern gelegentlich vor, ihr Horizont beschränke sich auf die Frist bis zum nächsten Wahltermin. Das ist natürlich etwas übertrieben, denn meistens beschränkt sich der Horizont auf die Schlagzeile des nächsten Sonntags....
Immerhin, eine direkte Demokratie ist zu längerfristiger Planung fähig als eine repräsentative Demokratie, weil der Souverän der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die stabilere Gewalt bildet als eine im Rhythmus der Parlamentswahlen stets wechselnde Regierung. Die Berücksichtigung von Minderheiten, unser Vernehmlassungsverfahren, das Suchen nach der so genannten „Referendumstauglichkeit“ ermöglichen stabilere Planungen als das schnelle Durchpauken mithilfe einer parteipolitischen Mehrheit in Parlament und Regierung. Diese Mehrheiten nämlich können bei den nächsten Wahlen kippen und damit kann ein Projekt auch wieder abgebrochen werden.
- Der Ausstieg aus der Kernenergie wurde in Deutschland unter einer rot-grünen Regierung schon einmal beschlossen, doch dann, nach einem Regierungswechsel, wieder rückgängig gemacht. Die vom Bundesrat, beschlossene Energiewende ist hingegen stabiler, weil sie im Hinblick auf die Referendumsmöglichkeit gegen ein neues KKW erfolgte.
- Ein Jahrhundertwerk wie die Neue Eisenbahn-Alpentransversale NEAT, die während der ganzen Erstellungsdauer im Parlament stets heftig bestritten blieb, wäre in einer repräsentativen Demokratie kaum im ursprünglich geplanten Zeitraum erstellt worden.
Aber ganz unabhängig davon, ob nun direkte oder repräsentative Demokratie: Alle Versuche langfristiger Planung geraten in die Strudel des gesellschaftlichen Wandels und so rollt denn jede Planung mit der Zeit und ihren Veränderungen.
Die politische Haltung zur Atomkraft gibt ein Beispiel dafür.
- Wer erinnert sich heute daran, dass es vor einem halben Jahrhundert Pläne für ein unterirdisches Atomkraftwerk unter dem Bundesplatz Bern gab?
- Oder für ein mit Atomkraft angetriebenes (schweizerisches) Automobil?
- Die Ostermärsche von damals waren Friedensmärsche und wandten sich gegen die atomare Aufrüstung, weil der Bundesrat Pläne für nukleare Bewaffnung schmiedete. Deswegen lautete die Losung des Protestes damals: «Atomkraft für friedliche Zwecke: Ja!»
Wer hätte damals gedacht, dass die Parolen der Ostermärsche fünfzig Jahre später gerade gegenteilig lauteten: «Atomkraftwerke Nein!»
- In meiner Rücktrittsrede 2010 stichelte ich gegen die damals kernenergiefreundliche Mehrheit im Bundesrat, ich hätte zwar «115 Tunnel aber null KKW gebaut».Viele Parlamentsmitglieder und eine Bundesrätin schüttelten etwas indigniert den Kopf. Niemand rechnete damit, dass meine Nachfolgerin wenige Monate später den Ausstieg aus der Atomkraft verkünden würde.
Das ist mitnichten eine Klage über die Staatsform der Demokratie.
Verglichen mit Diktaturen müssen die westlichen Staaten nämlich deswegen innerhalb engerer Horizonte planen, weil sie das Streben ihrer Bürger nach individuellem Glück und Selbstverwirklichung in ihren Verfassungen verankert haben. Das sind Werte, die uns mehr bedeuten als Macht und Effizienz des Staates und seiner ewigen Lebensdauer.
Die Indiviualisierung erschwert langfristige Planung
Die Individualisierung der Gesellschaft steht in einem Gegensatz zu Solidarität. Diese erlahmt gegenüber anderen Mitbürgern und noch viel mehr schwindet sie gegenüber Menschen in anderen Ländern und Kontinenten. Die Globalisierung, die Entwurzelung und Auflösung nationaler Bindungen sowie die Möglichkeit, Produktionsstätten und Kapitalgesellschaften nach Belieben in andere Länder und andere Kontinente zu verlegen, beschleunigen diese Entsolidarisierung.
Die hilflosen Beschwörungen an den Klimakonferenzen, denen kaum Taten folgen, belegen die Diskrepanz zwischen der Erkenntnis, was eigentlich getan werden müsste, und der Fähigkeit, entsprechend zu handeln. Jedes Land bleibt trotz dem klaren Wissen um die Ursachen und Folgen der Klimaerwärmung seinen eigenen, unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen verbunden.
Umgekehrt verändern wir, sei es fahrlässig oder aus Unwissen, die Welt, ohne es zu planen, und zwar mit Folgen, die jede zeitliche Vorstellungskraft sprengen. Die Folgen der Abholzung der Wälder durch die Römer in Istrien und Dalmatien oder der Trockenlegung des Aralsees durch die Sowjetunion sind heute noch offensichtlich und bleiben irreparabel.
Klimaerwärmung und nukleare Abfälle sind die gesellschaftlichen Taten von heute, unter deren Spätfolgen andere zu leiden haben werden. Atommeiler und nukleare Abfälle strahlen Jahrtausende vor sich hin und bilden eine Gefahr für alle Organismen in ihrer Nähe. Hochradioaktive Abfälle sollten eine Million Jahre sicher gelagert werden können. Diesen Zeitraum kann sich kein Mensch vorstellen. Nach über tausend Jahren sollten sie noch rückholbar sein. Was für Verhältnisse werden dann wohl herrschen?
Von Alexander Kluge gibt es die Erzählung von einem Grafiker, der ein Zeichensystem erfinden will, das in einigen Jahrtausenden verstanden werden wird, so dass sich die spätere Menschheit über die strahlende Hinterlassenschaft informieren kann. Wissenschaftler diskutieren heute, wie wir mit den Generationen, die in tausend Jahren leben werden, überhaupt kommunizieren können, da wir doch ihre Lebensumstände gar nicht kennen können. Die NAGRA hat eine ganze Bibliothek mit Dissertationen über diese Problematik.
(Auf einer Dissertation steht auf der ersten Umschlagseite ein Hinweis der Druckerei: „Die Tinte dieser Arbeit wird bei optimalen Bedingungen etwa 200 Jahre lang lesbar sein.“)
Gibt es die Schweiz in tausend Jahren noch? Statistisch gesehen wohl eher nicht. Vor der gleichen Zeitspanne gab es sie jedenfalls noch nicht. Wie kurzsichtig mutet es da an, wenn heute über die Endlagerung der Abfälle aus der Perspektive von Kantonsgrenzen gestritten wird.
Je weiter der Zeithorizont, desto unsicherer die Planung. Auf tausend oder gar eine Million Jahre planen zu wollen ist absurd und vermessen. Wir müssen uns eingestehen, dass unsere Vorstellungen von derart ferner Zukunft Science-Fiction bedeuten, also auf fiktionaler Spekulation beruhen. Phantasien walten zu lassen ist legitim und auch natürlich. Aber es wäre vermessen zu glauben, unsere Vorstellungen seien von uns so gut aufgegleist, dass sie sich in tausend Jahren tatsächlich verwirklichen werden. Die Chancen sind im Promillebereich. Es gebietet sich also die Bescheidenheit einzugestehen, dass unseren Möglichkeiten des Planens Grenzen gesetzt sind.
II. Die ethische Dimension des Planens
Daraus folgt, dass die Qualität der Planung wichtiger ist als die zeitliche Quantität. Wichtiger als die Frage, wie lange hinaus wir planen können, ist der inhaltliche Aspekt, nämlich nach welchen Grundsätzen wir was planen. Nicht die Langfristigkeit unserer Gestaltungsmöglichkeiten ist die entscheidende Frage, sondern die ethische Dimension unseres Handelns.
Unser Gewissen verliert an Schärfe, je weiter wir von den Wirkungen unseres Handelns entfernt sind. Mit der Distanz schwindet auch die Verantwortung.
Das gilt in räumlicher Hinsicht:
- Charlie Chaplin sagte: Wenn du eine Rauferei in der Totale siehst, musst du lachen. Siehst du sie in einer Nahaufnahme, hast du Mitleid.
- Die Bürgermeisterin von Lampedusa war sich dessen bewusst. Als die Leichen auf ihre Insel gebracht wurden, hat sie sofort gefordert: Die Fernsehstationen aller Welt sollen kommen und das Elend filmen, damit alle Menschen wachgerüttelt würden. Und das war ja dann auch der Fall, auch bei uns. Aber wir sind dennoch unterschiedlich betroffen. In Italien wurde Staatstrauer mit Fahnen auf Halbmast und Schweigeminuten in den Schulen ausgerufen. Bei uns stand so etwas nicht zur Diskussion, obwohl wir ja auch im Schengenabkommen sind.
- Das Gewissen eines Bomberpiloten, werfe er nun konventionelle oder Atombomben, ist weniger betroffen, wenn er die Menschen nur als Pünktchen oder gar nicht wahrnimmt, als wenn er ihnen ins Gesicht schauen müsste.
Das gilt auch in zeitlicher Hinsicht. «Nach uns die Sintflut» ist nur die krasseste Zuspitzung einer an und für sich ganz natürlichen Erlahmung der Vorstellungskraft auf unvorstellbare Zeiträume hinaus.
Wir planen für unsere Kinder und für unsere Grosskinder. Sie kennen wir und haben einen Bezug zu ihnen. Den Menschen in tausend oder mehr Jahren fühlen wir uns jedoch weit weniger verpflichtet.
Solidarität der Generationen
Der römische Staatsmann und Philosoph Cicero (diese Kombination war damals noch kein Schimpfwort) schrieb in «De finibus bonorum et malorum» («Vom höchsten Gut und vom grössten Übel»):
„Es gilt als unmenschlich, ja verbrecherisch zu sagen, nach unserem Tode möge doch der Weltbrand über alle Länder hereinbrechen. Aus dieser Erkenntnis folgt die Verpflichtung, dass wir auch für künftige Generationen, um ihrer selbst willen vorsorgen müssen.»
(Wörtlich: «Und da ja der berüchtigte Spruch derer als unmenschlich und geradezu als verbrecherisch gilt, die sagen, sie hätten nichts dagegen, wenn nach ihrem Tode über alle Länder der Weltbrand hereinbreche..., so trifft gewiss umgekehrt die Verpflichtung zu, dass wir auch für die Generationen, die in Zukunft einmal leben werden, um ihrer selbst willen Vorsorge treffen müssen.»
Die Menschen bilden eine Gemeinschaft von Generationen, wo jede für die andere verantwortlich ist. Auch wir verdanken unser Leben den Vorfahren. Wir haben daher eine Verantwortung gegenüber künftigen Generationen und müssen ihnen die Erde so hinterlassen, dass sie ihr eigenes Leben und ihre eigene Freiheit so wahrnehmen können, wie wir es können.
Irreversible Eingriffe in die Natur
- Das verbietet Veränderungen an der Natur dann, wenn sie nicht rückgängig gemacht werden können. Eine solche Änderung ist etwa die Ausrottung einzelner Tierarten.
- Wir haben zudem nicht das Recht, Probleme zu hinterlassen, die wir für uns selber als unzumutbar betrachten. Wenn wir die Erde als Abfallhalde hinterlassen, die gemäss unserem Wissensstand auch später nicht mehr entsorgt werden kann, ist dies ebenfalls eine irreversible Veränderung. Wir selber müssen diesen Abfall beseitigen.
Wir können uns nicht mit der Vermutung begnügen, spätere Generationen fänden dann schon eine Lösung. Wenn unser heutiges Wissen dazu nicht in der Lage ist, müssen wir jede Technik unterlassen, die solche Abfälle produziert.
- Ebenso verbietet sich, zu den ohnehin bestehenden Naturgefahren, wie Erdbeben oder Vulkanausbrüchen, zusätzliche Gefahrenquellen zu schaffen und zu hinterlassen. Jede Gefahrenquelle, die nicht rückgängig gemacht werden kann, mindert die Freiheit und Lebensqualität unserer Nachkommen.
- Das gilt für die Hinterlassung von finanziellen ebenso wie ökologischen Schulden. Unser Lebensstil darf die kommenden Generationen nicht zwingen, Gefahren, die wir hinterlassen haben, unter Kontrolle zu halten und zu beseitigen.
Beweispflicht künftigen Schadens
Gegenüber langfristigen Folgen unserer Eingriffe in die Natur wird eingewendet, diese seien nicht bewiesen. Das hören wir auch in den Klimadebatten. So wird gefragt:
- «Ist nachgewiesen, dass CO2 das Klima erwärmt und dass diese Erwärmung für einen höheren Meeresspiegel, für Taifune und für schneelose Winterkurorte verantwortlich ist?»
- «Ist nachgewiesen, dass die Strahlung der nuklearen Abfälle Schäden über Generationen bewirken kann?»
Diese Fragestellung ist nicht korrekt. Sie muss gerade umgekehrt lauten: «Kann ich nachweisen, dass meine Handlung keine unwiderruflichen Schäden anrichtet?» Derjenige, der in die Natur eingreift, muss sich vergewissern, dass sein Eingreifen keine unverantwortbaren negativen Folgen haben wird. Angesichts auch nur ansatzweise begründeter Zweifel muss er sich für seine Nachkommen entscheiden und von irreparablen Eingriffen absehen.
Die statistische Wahrscheinlichkeit eines Unfalls
Wenn die so genannte Eintrittswahrscheinlichkeit mit statistischen Studien auf mehrere Tausend Jahren verteilt wird, ist dies eine verharmlosende Augenwischerei.
- Es wird so zunächst suggeriert, ein allfälliger Unfall erfolge erst in tausend Jahren. Es wird verdrängt, dass er schon morgen eintreten könnte.
- Aber auch wenn er tatsächlich erst in tausend Jahren eintreten sollte: Wie ist es denn ethisch vertretbar, ein Risiko, das wir für uns nicht eingehen wollen, einer künftigen Generation zuzumuten, die in tausend Jahren leben wird?
Gewiss, jede Generation geht für ihren Wohlstand auch Risiken ein. Das ist legitim, solange es ihre eigenen Risiken bleiben, die sie für sich in Kauf nimmt, und sofern künftige Generationen, die diese Risiken nicht akzeptieren wollen, sie auch wieder beseitigen können. Jede Infrastruktur ist mit Risiken verbunden, auch die Eisenbahn und auch Staudämme. Doch es ist die jetzige Generation, die diese Risiken auf sich selber nimmt. Eine künftige Generation kann sie beseitigen, wenn sie nicht mehr gewillt ist, sie zu tragen.
- Wir wissen um die statistische Anzahl Verletzter oder Toter im Strassenverkehr, und unsere Gesellschaft akzeptiert diese Zahl mehrheitlich. Wirtschaftliche Vorteile und Lebenslust rechtfertigen dieses Risiko für eine Mehrheit der jetzigen Generation. Darüber gibt es eine öffentliche Debatte, und es gibt Massnahmen wie das Projekt via sicura.
- Will eine künftige Generation unser heutiges Risiko nicht mehr akzeptieren und der Mobilität weniger Menschen opfern, kann sie das ohne weiteres ändern, so wie wir es auch heute schon ändern könnten, wenn wir wollten.
- Aber was nicht angehen kann, ist, ein Risiko auf Kosten von Menschen zu schaffen, die sich erstens nicht dazu äussern können, weil sie noch nicht geboren sind und zweitens auch später nicht mehr die Möglichkeit haben werden, dieses Risiko aus der Welt zu schaffen.
Die Maxime gegenüber künftigen Generationen muss also sein, ihnen nur das zuzumuten, was wir für uns ebenfalls ausdrücklich akzeptieren würden.
Die zeitlichen Dimensionen vor und nach uns können wir kaum ermessen und schon gar nicht verbindlich planen. Deshalb müssen wir, was wir hier und jetzt tun, uns und unseren Nachkommen gegenüber verantworten. Unser kurzes Leben nach einer Erdgeschichte von Milliarden Jahren ist ein Privileg.
Und ein Privileg verpflichtet.