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20 Jahre ABS oder die Überwindung des Kapitalismus


Moritz Leuenberger - Rede am 20-Jahr-Jubiläum der Alternativen Bank Schweiz, 8. Mai 2010

Wenn die Bank ruft, kommt der Bundesrat. Ich will nicht nur von Finanzhilfen mit ein paar Milliarden sprechen und in alten Wunden wühlen, wenn möglich noch unkollegial.

Auch ich selber war stets gehorsam gegenüber Banken, wenn sie mich riefen

  • Als die Bankiervereinigung mich 2001 um eine Rede bat, eilte ich sofort hin und sprach zum Thema „Das Lob der Gleichheit". Mit Erfolg: Es gelten jetzt auch bei Banken immer die gleichen Massstäbe: Wenn es gut geht, gibt es Boni,  und wenn es schlecht geht, auch.
  • Als die Credit Suisse 150 Jahre alt wurde und mich 2006 um eine Rede bat, bin ich ebenfalls sofort hingeeilt. Auch diese Rede hatte Erfolg: Der CS geht es jetzt ziemlich gut und ihrer Spitze so gut, dass es nicht mehr ziemlich ist. Die Rede handelte übrigens „Vom Wert der Schuld". Wenn die Bank Crédit Suisse heisse, müsste der Bund folgerichtig débit suisse heissen, meinte ich damals. Tempi passati. Die UBS spricht über den Bund nur noch als „unser crédit suisse".
  • Und wenn die Alternative Bank im Jahr 2010 ruft, komme ich selbstverständlich ebenso willig und überdies auch sehr gern. Natürlich frage ich mich: Warum haben Sie ausgerechnet mich eingeladen? Bei den vorherigen Einladungen war es ja klar: Die wollten mich, weil sie so begeistert waren, dass ich einige Jahre zuvor die Bankeninitiative zur Abschaffung des Bankgeheimnis' mitverursacht hatte. Was aber ist der Grund bei der ABS?
    • Ist es, weil es die ABS ungefähr so lange gibt, wie ich dem Bundesrat angehöre - also erst seit kurzem?
    • Ist es, weil ich Eisenbahn- und Energieminister bin? Immerhin haben Sie Ihren Sitz in Olten, dem bekannten Vorort von Gösgen, wo ein Atomkraftwerk steht und alle Eisenbahnlinien der Schweiz zusammenkommen.
    • Oder ist es, weil ich einer Partei angehöre, die Ihnen gegenüber laut neuem Parteiprogramm die Erwartung äussert, eine Genossenschaft zu werden statt eine AG zu bleiben, einer Partei, die jetzt endlich den Kapitalismus überwinden will?

Was ist denn wohl gemeint mit „Überwindung des Kapitalismus"?

  • Geht es etwa um Wind, der über dem Kapitalismus windet? Also um eine Art Überwindenergie?
  • Oder ist damit gemeint: „sich zum Kapitalismus überwinden".
  • Oder ist Überwindung „des Kapitalismus" ein genitivus subjectivus wie „das Heulen des Wolfes"? Dann wäre es also der Kapitalismus, der überwindet, der uns schon alle längst überwunden hat, inklusive der SP (im genitivus objectivus).

Doch ich will mich nicht lustig machen über ein ernsthaftes und berechtigtes Anliegen, nämlich Auswüchse und Verantwortungslosigkeit zu verurteilen und ethisches Verhalten nicht nur anderen zu predigen, sondern dessen Konturen in einem eigenen Programm zu skizzieren.

Und vielleicht überwinden wir uns in der SP bis zur Verabschiedung des Programms auch noch, das Kapitel betreffend Überwindung zu überwinden, das als überwundene Vergangenheit über einem ansonsten guten und relevanten Entwurf liegt.

Gewiss, wir können und sollen Diskussionen führen über Systeme. Aber statt die ultimative Überwindungsfrage zu stellen, sollten wir uns besser fragen: Welchen Kapitalismus wollen wir überwinden? Diese Frage ermöglicht auch konkretere politische Schlussfolgerungen.

Zunächst: Verwechseln wir nicht Inhalt und Form

Ein Vergleich: Wie Sie vielleicht auch schon bemerkt haben, wird der Bundesrat gelegentlich etwas kritisiert - „führungsschwach", „keine Strategie", kakophones Gremium" - und deswegen wird eine Regierungsreform verlangt: 9 Bundesräte, 5 Bundesräte, Bundespräsident für 2 Jahre, Bundespräsident für 4 Jahre, mehr Staatssekretäre und was der mutigen Forderungen alle sind. Gewiss, jedes System kann und soll stets verbessert werden, und das tun wir ja auch. Bloss: Systemdiskussionen lenken oft ab von den inhaltlichen Problemen. Flüchtet sich ein Verein in eine formale Statutenrevision, verdeckt er damit oft inhaltliche  Differenzen, die er auszutragen scheut. Ich bin überzeugt, dass in unserem heutigen Regierungssystem gute Arbeit geleistet werden kann und dass eine Reform nicht automatisch eine bessere Politik bringt.

Das gilt auch in einem Wirtschaftssystem. Es ist möglich, in unserem Wirtschaftssystem gut zu wirtschaften. Es ist möglich, ökonomisch erfolgreich zu sein und sich gleichzeitig auch sozial und umweltbewusst zu verhalten.

Es braucht Regulierungen

Bleiben wir zunächst bei der Form.

Worin besteht sie denn überhaupt, unsere kapitalistische marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung?

Immer wieder wird gesagt, der Kapitalismus brauche gar keine Form, diese ergebe sich nämlich durch das Wirken der unsichtbaren Hand des Marktes. Sie, diese Zauberhand, regle alles zum Besten, deshalb habe sich der Staat möglichst fernzuhalten. Und so hören wir dann etwa:

  • „Beamte sind nie klüger als Märkte," (so drückte sich Kaspar Villiger in seiner neuen Funktion aus.)
  • Oder: „Das Bankgeheimnis ist Teil der Schweizer Volksseele."
  • Oder: „Das Bankgeheimnis gehört in die Verfassung, wie die Menschenrechte."

Zwar ist die Wirtschaftsfreiheit tatsächlich in der Bundesverfassung festgeschrieben und somit irgendwo zwischen Himmel und Erde angesiedelt.

Dennoch braucht es klare Schranken, in aller Regel auf Gesetzesebene.

(Sie wissen das und haben Ihre Bank deshalb am Amtshausquai platziert.)

Das Bankengesetz, das Obligationenrecht, Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz sind Leitplanken und schützen Konkurrenten, Konsumenten, Arbeitnehmer und Gläubiger. Dies bedeutet nichts anderes, als dass damit die Wirtschaftsfreiheit als solche garantiert wird, langfristig und dauerhaft.

Ohne Regeln zerstört sich der freie Markt selbst. Regulierungen sind daher die Basis eines nachhaltigen und integren Finanzplatzes, ob sie nun im Gesetz kodifiziert oder ob sie in der Gesellschaft moralisch verankert sind.

Banken als Infrastruktur des Handels

Handel braucht aber nicht nur Leitplanken, die ihn schützen. Er braucht auch ein Kreditwesen.  Deswegen sind Banken eine Infrastruktur wie Elektrizitätswerke oder Schienen- und Strassennetze auch. Sie versorgen die Wirtschaft mit Krediten und halten existentielle Geldflüsse am Laufen. Sie werden auch der sozialen Dimension gerecht, zum Beispiel mit Kleinkrediten oder Mikrokrediten in Entwicklungsländern, wie sie mittlerweile von vielen Organisationen vergeben werden. Sie ermöglichen auch den Armen ein Überleben und sind ein Beispiel dafür, dass weder der Markt noch das Finanzwesen per se schlecht sind.

Jedes Recht bedeutet eine Verpflichtung

Das Konstrukt einer AG ist ein Privileg. Es erlaubt einen Teil des Vermögens zu separieren, damit zu wirtschaften und nur mit diesem Teil zu haften. Für den anderen Teil haftet man nicht, auch wenn die AG falliert. Dieses Privileg wird durch den Staat, garantiert und geschützt, konkret im Obligationenrecht.

Doch dieses Privileg, eine Kapitalgesellschaft zu gründen, hat ein Korrelat, nämlich die Verantwortung und die Verpflichtung, damit ethisch vertretbar zu handeln.

Dass ein gesellschaftliches Recht immer auch eine Pflicht nach sich zieht, das wussten nicht erst Duttweiler oder Rockefeller jun., das fanden schon Calvin, Luther und Zwingli. Das ist der Geist der Reformation, welche den Kapitalismus erst ermöglichte.

Leben wir ihr heute noch nach?

Aber natürlich, könnten wir sagen. Die ABS beweist es seit 20 Jahren. Unzählige selbstverwaltete Betriebe und Genossenschaften beweisen es. Sie sind nicht die einzigen. Dass es möglich ist, nachhaltig zu wirtschaften, beweisen auch unzählige KMUs und sogar einige Grosskonzerne.

Wir wissen aber auch: Einige verhielten sich in den vergangenen Jahren ganz anders.

Solches Verhalten mündete in der Finanzkrise, die wir nun alle gemeinsam ausbaden, indem wir Konjunkturankurbelungsprogramme mit Steuergeldern bezahlen, indem wir mit Sparprogrammen öffentliche Leistungen kürzen, indem wir Verluste von Grossbanken sozialisieren.

Diesen Kapitalismus wollen wir in der Tat überwinden. Nicht nur, weil er hässlich ist, sondern weil er eine Zeitbombe ist, die auch mitten in der EU explodieren kann.

Moralische Ursachen der Finanzkrise

Werfen wir kurz einen Blick zurück:

Nach dem Fall der Berliner Mauer stand das kapitalistische System nicht mehr in moralischer Konkurrenz zum Staatssozialismus. Die ökonomische Globalisierung nahm ungezügelt ihren Lauf und mit ihr entfesselte sich ein Kapitalismus, der sich politischen Kontrollen zu entziehen wusste, weil er grenzenlos war.

Mit dieser Freiheit wussten viele Unternehmen und Manager nicht umzugehen.

Ihre sagenhaften Gewinne begeisterten viele und es entwickelte sich eine weit verbreitete Faszination und damit eine Verschiebung auf den bisherigen Wertskalen.

Ökonomische Werte dominieren überall. Börsenkurse, Dollarkurse, Eurokurse werden in allen Nachrichten verlesen, auch wenn das nur den wenigsten etwas nützt.

Alle Aspekte unseres Lebens werden ökonomischem Denken unterworfen.

Bis 1984 galt innerhalb des Bankensektors als höchster Weiterbildungstitel der Eidg. dipl. Bankbeamte. Heute ist ein Beamter in der Wirtschaftswelt beinahe ein Schimpfwort und die öffentliche Verwaltung hat sich der neuen Werthierarchie prompt unterworfen. So ist denn heute auf der Gemeindeverwaltung die Dame, die mir die Identitätskarte ausstellt, als Kundenberaterin  angeschrieben - und ich bin nicht mehr Staatsbürger, sondern bloss noch Kunde.

Auch für Umweltschutz oder Entwicklungshilfe wird ökonomisch argumentiert.

Diese Fixierung auf wirtschaftliche Werte verdrängt, dass es auch noch andere Auffassungen von Glück, andere Lebensinhalte, andere Werte und Selbstwerte gibt: Helfen, Solidarität, Einsatz für andere oder das Gemeinwesen, Liebe zur Natur.

Wegen dieser ökonomischen Monomanie, wegen dieser Ignoranz, was der Inhalt einer Freiheit bedeutet, kam es zur Finanzkrise und nicht weil das Bankgeheimnis per se etwas Böses wäre. Mit der Wirtschaftsfreiheit wussten zu viele Kunden und Banken nicht umzugehen. Und auch die Politik verharrte im Banne des Bankendiktats und wollte die längst vorhandene Erkenntnis nicht wahrhaben, dass der Unterschied Steuerhinterziehung/Steuerbetrug nicht zu halten sein werde.

Und so suchen nun alle Parteien fieberhaft nach gerechten Geldstrategien:

    • Die einen sind für eine konsequente und glaubwürdige Weissgeld-Strategie.
    • Andere finden, Schwarzgeld solle bei uns bleiben; ausschaffen sollen wir Menschen.
    • Auch unsere freisinnigen Freunde haben sich nach mühseligen Debatten endlich zu einer absolut klaren Strategie überwunden: Sie fordern jetzt eine kompromisslose „Sowohl-schwarz-als-auch -weiss-Geldstrategie", getreu dem altrömischen Grundsatz „pecunia non coloret" - Geld hat keine Farbe.

Der Bundesrat hat vor 10 Tagen entschieden,

    • die Vorschriften bezüglich Eigenmittel, Liquidität und Risikoverteilung zu verschärfen.
    • exorbitanten Löhnen und Boni künftig Grenzen zu setzen.

Ein Bonus ist nicht à priori eine schlechte Sache. Der Unterschied zwischen einem Heilmittel und einem Gift liegt nur in der Dosierung.

Hüten wir uns davor, Kapitalismus mit seinen Masslosigkeiten gleichzusetzen.

Es ist ja auch eine Tatsache, dass die Errungenschaften des Sozialstaates zum Teil gewissenlos ausgenutzt werden. Und so wie es populistisch und perfid ist, mit dem Schlagwort von Scheininvaliden (die es tatsächlich gibt) oder Sozialschmarotzern (die es tatsächlich auch gibt), gegen den Sozialstaat an sich zu polemisieren, so wollen wir den Kapitalismus nicht mit seinen kleptomanischen Auswüchsen gleichsetzen.

Es kann sowohl eine Genossenschaft verwerflich als auch eine AG nach ethischen Kriterien praktizieren.

Es ist also auch in der jetzt herrschenden Wirtschaftsordnung möglich, nachhaltig zu wirtschaften.

  • Es ist möglich, sich als Bank auf ökologisch nachhaltige Anlagen zu spezialisieren.
  • Es ist möglich, eine Bank als Infrastruktur zu begreifen, welche nachhaltige Projekte mit Krediten versorgt.

Die Alternative Bank tut es auf dem Schweizer Finanzplatz seit 20 Jahren. So haben Sie denn bereits 1989 nachhaltige Ethik, statt rein ökonomische Logik zum Geschäftsprinzip gemacht.

Gerechte Erkenntnisse brauchen gelegentlich lange Zeit, bis sie sich durchsetzen und sie scheitern oft, weil sie von völlig verschiedenen ideologischen Seiten bekämpft werden. Das war beim EWR-Beitritt so oder bei unserer damaligen Bankeninitiative. Auch der Gründung der ABS standen ideologische Zweifel von verschiedenen Richtungen gegenüber:

„Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank schon gegen die Gründung einer Bank?" Das steht nicht im Parteiprogramm der SP, sondern das sang Mackie Messer.

„Wie lange überlebst du, kleine Bank ...in der freien Bahn der Wilden?" Das stammt nicht von Jenni in der Dreigroschenoper, sondern das fragte 1990 die damalige Schweizerische Kreditanstalt in einer Medienmitteilung und sie meinte ganz konkret die ABS.

Eine Bank, die sich ethisch und politisch einwandfrei zu verhalten versucht und zum Wohle der Menschen wirkt, das konnte sich Bertold Brecht nicht vorstellen. Eine alternative Bank, die floriert, das konnte man sich an der Zürcher Bahnhofstrasse kaum vorstellen. Die ABS hat mit ihrem Erfolg beide eines Besseren belehrt.

Ihnen bin ich jedenfalls dankbar, dass Sie vor 20 Jahren nicht eine Bank überfallen, sondern die ABS gegründet haben.