Absanern
3.12. - Feier zum 70. Geburtstag von Hans Saner in der Aula des Campus Muristalden
in Bern
Meine Geburtstagswünsche für Hans Saner stammen aus dem Bundeshaus. Dieses ist ja bekanntlich ein Tempel unermüdlicher philosophischer Reflexion.
Dass ich für die heutige Repräsentanz auserkoren wurde, ist für mich eine umso grössere Ehre, als alle Auftritte der Mitglieder des Bundesrates im Kollegium ausgehandelt und anschliessend verteilt werden. Da sich die verschiedenen Anlässe unterschiedlichen Beliebtheitsgrades erfreuen, gibt es eine eigentliche Tauschbörse. Die Andrangsintensität bildet eigentliche Skalen von der sehr beliebten OLMA über die Einweihung eines Schwerverkehrskontrollzentrums bis hin zur relativ leicht zugänglichen Auszeichnung eines Kulturschaffenden.
Bei einigen Anlässen ist die Begehrlichkeit dermassen gross, dass sie dem Bundespräsidenten vorbehalten sind, etwa der Automobilsalon oder das eidgenössische Schwing- und Älplerfest. Bei den anderen Auftritten herrscht harter Wettbewerb, eigentliche Vorprüfungen müssen erbracht werden. Für ein Fussballländerspiel braucht es zuvor zehn Auftritte in der Arena. Der Marktwert der Veranstaltungen ändert auch im Laufe der Zeit: Fussballmatchs bei GC sind relativ günstig zu haben.
Der Geburtstag eines Schweizerischen Philosophen ist allerdings nicht so häufig, dass sich bereits ein eigentlicher Marktwert eingespielt hätte, er gilt in der Auftritts-Verteilbörse als ein Nischenanlass. Jedenfalls durfte ich ohne lange Verhandlungen kommen, ich musste lediglich meinen Wunsch, am Unspunnenstein-Jubiläum im September teilnehmen zu können, abtreten. Daraus ersehen Sie immerhin, dass der heutige Anlass in den Augen unseres Kollegiums durchaus gewichtig ist.
Allerdings möchte das Kollegium lieber nicht, dass ich heute selber einen Beitrag zur Philosophie leiste. Man hat mich gebeten, es bei einem „Prost Hans!“ oder einem „Viva SanY!“ zu belassen.
Das ist weiter nichts als natürlich. Beim Unspunnenfest hätte ich ja den Stein auch nicht werfen müssen, am Musikfestival in Luzern ergriff ich kein Instrument – zur Erleichterung des Publikums, und am Schwingfest schwang ich nur eine Rede. Das geschah durchaus zu meinem eigenen Schutz. Und ebenfalls zu meinem Schutz soll ich nicht philosophieren. Die Erkenntnis aus „si tacuisses…..“ wird in der Schweizer Politik konsequent umgesetzt mit: Nie etwas Grundsätzliches sagen.
Bei einem Bundesrat ist philosophieren besonders verpönt. Bis jetzt haben bloss die SVP und die Zürcher Südanfluggegner philosophische Beiträge eines Bundesrates verhöhnt. Doch seit einer Woche findet auch der Gewerkschaftspräsident, es sei grundsätzlich falsch, wenn sich ein Bundesrat Gedanken zu Religion und Philosophie mache, er habe sich ausschliesslich um Dossiers zu kümmern. Diese Dossiers haben selbstverständlich nichts mit tiefer greifenden Fragen zu tun, so wenigstens meinen der Gewerkschaftsführer und die Schweizerische Volkspartei.
Die beiden wirken in ihrer übereinstimmenden Ergänzung wie eine Zange. Ihr rechter Griff steuert über das Scharnier die linke Backe und der linke Griff bewegt die rechte Backe. Diese politische Zange droht gegenwärtig, jede Reflexion und damit jede Bewegung in unserem Lande abzuklemmen.
Ich kann mich dieser Zange nicht widersetzen und widerrufe heute vor aller Öffentlichkeit: Ich habe noch nie philosophiert. Und ich tue es nie wieder...
Sollte ich dennoch je den Eindruck erweckt haben, ich hätte grundsätzliche Gedanken angestellt, widerrufe ich und gestehe: Es war alles nur ein Plagiat
- Als Infrastrukturminister bin ich immer wieder mit Unfällen und Katastrophen konfrontiert, seien sie nun auf Naturereignisse oder auf menschliches Versagen zurückzuführen. Wenn mir in den jeweils sofort einsetzenden Schuldzuweisungen und beginnenden Hexenjagden grundsätzliche Worte zur technokratischen Hybris dieser Zeit einfallen, Vergleiche mit anderen Zeiten, wo die Götter, Gott, das Schicksal angerufen wurden, ist das auf Beiträge von Hans Saner zurück zu führen.
- Wenn in den berühmten Dossiers um Details wie Strahlenschutzwerte bei den Handy-Antennen polemisiert wird, wenn darüber gestritten wird, ob der Ceneri-Tunnel ein- oder zweiröhrig gebaut werden soll, wenn der wide left turn beim Flughafen Zürich umstritten ist, so kann ich auf veröffentlichte Gedanken von Hans Saner zu Risiko, Freiheit und Sicherheit zurückgreifen und zusammen mit den Beteiligten den grundsätzlichen Gehalt des Dossiers ausloten und so auch besser entscheiden und den Entscheid vermitteln.
- Und wenn in der Kakophonie um Gebührenanteile oder um Senderechte der SRG, der sprachregionalen und der lokalen Veranstalter der eigentliche Sinn von Radio und Fernsehen unterzugehen droht, helfen Hans Saners Gedanken zu Kommunikation und Einsamkeit dabei, sich wieder darüber klar zu werden, um was es im Grundsatz geht.
Wenn wir Politiker dann jeweils zu diesem tieferen Sinn zurückfinden, ist es das Verdienst eines Philosophen, der die gedankliche Vorarbeit geleistet und sie nieder geschrieben hat, so dass wir weiterdenken und uns zurück besinnen können. Hans Saner hilft uns dabei. Er verharrt nicht im Abstrakten, sondern spannt immer den Bogen vom grundsätzlichen Nachdenken zu den täglichen Fragen, zu den Dossiers. Er diskutiert unsere Fragen, spricht eine Sprache, die wir verstehen können, er holt uns ab, zeigt uns Zusammenhänge, die wir nicht kannten, öffnet uns Türen zu neuen Wegen, die wir dann gehen und wo wir unsererseits neue Entdeckungen machen können.
Trotz der real existierenden Zange bin ich überzeugt, dass unsere direkte Demokratie dieses Zusammenwirken von Grundsatzüberlegungen und politischem Alltag braucht und dass die Citoyens das auch wollen. Ich werde darin bestärkt durch einen Brief, den ich vor ein paar Tagen erhalten habe:
„Sehr geehrter Herr Bundesrat Leuenberger,Letzten Sonntag verfolgten wir Ihren mit Herrn Roger de Weck geführten Dialog im Rahmen des Programms ‚Sternstunde Philosophie’ des schweizerischen Fernsehens. (…)Der Diskurs bewegte sich an der Oberfläche, ohne Klarheit zu schaffen. (…)
Da wir wissen, dass Sie als Bundesrat sogar Bücher lesen, erlauben wir uns, Ihnen das Buch ‚Nicht-optimale Strategien’ von Hans Saner zu überreichen. Er hat es verstanden, den sehr schwierigen, oft falsch verstandenen Begriff Toleranz transparent darzustellen. (…)
In diesem Sinne hoffen wir, dass Sie für zukünftige Gespräche unserem vorgezogenen Weihnachtsgeschenk an Sie den notwendigen Nektar entziehen können.
Bern, 22. November 2004“
Zum Verhältnis zwischen Philosophie und Tagesgeschäften gibt es ein Gedicht von Bert Brecht über das Buch Taoteking. Verfremdend, wie Brecht vorgehen musste, ist es zwischen Lao Tse und einem Zöllner in China angesiedelt, doch heutige Brecht Exegeten wissen: Er meinte Hans Saner und den Bundesrat und das ganze spielt in der Schweiz. Das wird auch sofort deutlich:
„Als er siebzig wurde und gemächlich
Drängte es den Lehrer doch nach Ruh
Denn die Güte war im Lande wieder einmal schwächlich
Und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.
Und er gürtete den Schuh.
Und er packte ein, was er so brauchte:
Wenig. Doch es wurde dies und das.
So die Pfeife, die er immer, immer rauchte
Und den Schal, den er nie vergass.
Bücher nach dem Augenmass.“
Nachher trifft er auf den Zöllner, der sich für seine Erkenntnisse interessiert. Im Gedicht heisst es: „Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu“ und wir wissen: Brecht meint einen Bundesrat. Der Weise schreibt all seine Erkenntnisse für den Zöllner auf und so bleibt das Buch Taoteking der Nachwelt erhalten.
Der Schlussvers von Brecht heisst:
„Aber rühmen wir nicht nur den Weisen
Dessen Name dieses Buch umrahmt!
Denn man muss dem Weisen seine Weisheit auch entreissen.
Darum sei der Zöllner auch genannt.
Er hat sie ihm abgesahnt.“
Diesen Dank Brechts an den Bundesrat gebe ich umgehend weiter: Danke, Hans Saner, dass wir alle weiterhin bei Dir absanern dürfen.