Navigation ausblenden

Politik denkt, Technik lenkt


Consenec 25 Jahre Jubiläum
Dättwil / Baden
25. Oktober 2018

 

Seit 25 Jahren vermitteln Sie Erfahrung in Beruf, in Führung und im Leben. 25 Jahre Erfahrung mit Erfahrung.

Con Senectutem pro Juventute! Ich gratuliere Ihnen dazu.

Ich beneide Sie auch etwas:

Für ein solches Modell braucht es zwei Seiten,

  • diejenige, die Ihre Erfahrung weitergeben und
  • diejenige, die daraus lernen will.

Beide Voraussetzungen sind bei Ihnen gegeben.

Leider kann ich nicht behaupten, in der Politik sei dies auch so. Unsere Nachfolgerinnen und Nachfolger wollen ja bewusst anders und besser als die Vorgänger sein.

Als ich einem noch aktiven Bundesrat den freundschaftlichen Rat geben wollte, er solle doch bei TV Ansprachen etwas lächeln, meinte er: „Du musst gerade etwas sagen.“

Ich wollte ihm ja nur meine eigene Erfahrung weitergeben.

Aber so ist es: Auch ich wollte mich von Otto Stich nicht ständig belehren lassen. Die wöchentlichen Ratschläge von M. Calmy Rey werden in Bern nicht gerade freudig aufgesogen.

 

Kann Erfahrung gelehrt werden?

Erfahrungen bestehen primär darin, an eigenem Leib oder eigener Seele etwas zu erleben und daraus zu einer Einsicht zu kommen.

Mein Enkel meidet den Kaktus auf dem Balkon erst, seit er sich daran stach. Dabei habe ich ihn ja vorher gewarnt.

Ich wusste, als ich das Amt als BR antrat, theoretisch auch recht Vieles und doch begriff ich es erst, als ich einen Fehler beging.

  • „Immer nach Alternativen fragen, sich nie unter Zugzwang setzen lassen!“
    • Aber erst durch die Erfahrung mit SBB Chef Weibel,
      • der mir die einmalige Streichung der Teuerungszulage für das Personal als einzige Möglichkeit, die SBB zu retten, einredete,
      • ich nachgab, aber mich
      • dann mit den Gewerkschaften auseinandersetzen musste,

         verinnerlichte ich mir den Grundsatz.

  • „Nie ein Personalproblem mit Reorganisation lösen!“

Ich wusste das zwar.

  •  Aber erst nachdem ich aus Scheu vor der direkten Auseinandersetzung eine zusätzliche Hierarchiestufe schuf, und alles nur noch schlimmer wurde, lernte ich, Kündigungen auszusprechen.
  • „Sofort an den Ort des Geschehens ausrücken und Betroffenheit zeigen!“
    • Doch beim Brand im Gotthardtunnel sagte ich zu den Medien: „Ich stehe den Rettungskräften nur im Weg.“ Die Empörung war so gross, dass ich am nächsten Tag trotzdem ging.
    • Bei den späteren Katastrophen konnte ich die Erfahrung anwenden.
    • Sofort reiste ich zum Beispiel an das Massaker in Zug.
    • Es kommt dazu: Sich etwas theoretisch vorzustellen und es praktisch zu erleben sind zweierlei.
      • Wir sehen es bei Toleranzbezeugungen junger Ehepartner, die dann später erbitterte
        Scheidungskämpfe austragen
      • Oder bei Patientenverfügungen, die dann bei Ausbruch der tödlichen Krankheit widerrufen werden.
      • Sich eine Situation vorzustellen und sie zu erleben, sind verschiedene Dinge.

 

Nur selten lernen wir aus der Erfahrung anderer. Primär müssen wir sie erleiden.

Leider, denn sonst würden sich in Politik und Geschichte nicht so vieles wiederholen.

(Immerhin: Letzte Woche gab es in Beispiel gelernter Erfahrung: Doris Leuthard verzichtete darauf, als Folge der Stromliberalisierung Preissenkungen zu versprechen. Ich habe das vor x Jahren leider getan und es wird heute noch in der Tagesschau immer wieder ein Ausschnitt ausgestrahlt, wo ich eine Senkung von etwa einem Drittel in Aussicht stelle. Sie hat aus meiner Erfahrung gelernt.)

 

Ohne Selbstkritik keine Erfahrung

Eine Erfahrung kann zudem nur fruchtbar verwertet werden, wenn wir das damalige Umfeld aus einer gewissen Distanz selbstkritisch von einem neuen Blickwinkel betrachten und dabei auch Umstände begreifen wollen, die wir damals gar nicht realisierten.

„Gib mir einen Punkt ausserhalb der Erde und ich werde sie bewegen.“

Die Erkenntnis des Mathematikers und Ingenieurs wurde zur Erkenntnis vieler Philosophen – und einiger Politiker.

Zu Erkenntnissen kann ich oft erst kommen, wenn ich einen anderen Standpunkt eingenommen habe.

Das hilft mir, frühere Ereignisse zu verarbeiten und so werden diese zu Erfahrung.

Eine Pensionierung, ein Rücktritt, eine Panne im Leben (manchmal ist Rücktritt und Panne identisch) können zur Distanz, zu neuen Ansichten und damit zur nötigen Erfahrung verhelfen.

„Würden Sie heute nochmals gleich handeln?“

Die Frage, die uns immer wieder gestellt wird, sollten wir also relativieren und präziser beantworten:

In der Situation damals, mit dem beschränkten Wissen von damals, in der psychischen Verfassung von damals,

würde ich gleich handeln,

aber heute weiss ich mehr und dank diesem Wissen werde ich künftig nicht mehr gleich vorgehen. Denn ich habe eine Erfahrung gemacht.

Die Summe all dieser Erfahrungen verändert uns selber.

  • Bsp: Meine neue Sicht auf die Lüge in der Politik:

Ein Beispiel, wie sich eine Überzeugung durch einen neuen Blickwinkel von aussen ändern kann, ist für mich meine eigene Haltung zur Lüge in der Politik.

Im Amt schwebte ein ständiger Lügenvorwurf über meinem Beruf. „Nirgends wird so viel gelogen.“ 

Das hat mich empört. Ich war der Überzeugung, eine Politik ohne Lüge sei möglich, so wie ein Privatleben ohne Lüge auch möglich sei.

Ich schrieb dazu gar ein Buch über die Lüge und die Abgrenzung zur List.

Heute teile ich meine damalige Meinung nicht mehr.

Dies beschert mir viele Einladungen, denn ich entdecke in meiner Vergangenheit immer wieder neue Lügen, die ich damals beging.

Die Reden werden sehr geschätzt....

Zu der Befangenheit in der Gegenwart kommt die Schwierigkeit, die künftigen Entwicklungen vorauszusehen:

Grenzen der politischen Planung

Wir alle wollen die Zukunft gestalten.  Doch wir wissen kaum, wie wir uns selber verändern, nicht, wie sich andere nach uns entwickeln, nicht welche politischen und technologischen Änderungen die Welt gestalten werden.

Berühmte Philosophen habe das erkannt:

  • „Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. 
    (Philosoph Wilhelm Busch)
  • „Schwierig aus verschied’nen Gründen / ist die Zukunft zu ergründen.“ 
    (Philosoph Karl Valentin)

In meiner Rücktrittsrede stichelte ich 2010 gegen die damals kernenergiefreundliche Mehrheit im Bundesrat, ich hätte zwar «115 Tunnel aber null KKW gebaut.» Viele Parlamentsmitglieder und eine Bundesrätin schüttelten indigniert den Kopf.

Niemand rechnete damit, dass gerade sie wenige Monate später den Ausstieg aus der Atomkraft verkünden würde.

Eigentlich strebte ich das ja vorher auch an und einen Moment lang dachte ich: „Hätte ich doch noch länger im Amt bleiben sollen?“

Aber das wäre eine Fehlrechnung, denn die Umstände wären dann andere gewesen:

Meine Nachfolgerin im Departement wäre dann nämlich weiterhin Wirtschaftsministerin geblieben und hätte wohl gleich abgestimmt, wie der nachherige Wirtschaftsminister es gegenüber meiner Nachfolgerin auch tat.

Zudem: Sie war geeigneter und als frühere Kernkraftbefürworterin auch glaubwürdiger als ich.

(Genauso wie ich als Sozialdemokrat eher die Liberalisierung von Post, Telecom oder Strommarkt besser herbeiführen konnte als ein Bürgerlicher oder eine Bürgerliche, weil ich die Gewerkschaften nicht gegen mich hatte.)

Vergleich: General De Gaulle, der den Algerienkrieg beendete, Joschka Fischer, der als Pazifist die Intervention im Balkankrieg verantwortete.

Die Energiewende in Deutschland zeigt ebenfalls, wie schwierig eine politische Agenda zu planen ist:

Schauen wir auf die Koalitionsverträge in Deutschland:

  • Bei rot-grün 2002 stand im Vertrag nichts von Ausstieg aus der Atomenergie.
  • Die erste schwarz-rote Koalition beschloss im Koalitionsvertrag den Ausstieg aus der Kernenergie. Er wurde jedoch nicht vollzogen.
  • Später, 2009 (schwarz-gelb), wurde nun im Gegenteil die Verlängerung der Laufzeiten deutscher KKW vereinbart:
  • Tatsächlich wurden dann der Ausstieg und die Energiewende in dieser Koalition und trotz des Vertrages mit Verlängerung beschlossen (ohne grün und ohne rot und ohne dass es in einem Vertrag gestanden hätte).

Wir wissen wohl, warum wir in der Schweiz keine Koalitionsverträge kennen.  Wir haben längst die Erfahrung gemacht, wie beschränkt jede politische Planung ist.

Einen ersten Grund sehe ich in der Politik selber:

Geblendet in den Modeströmen

Wir treiben in gesellschaftspolitischen Moden. Ihre Strömungen bestimmen die Richtung, die wir nehmen, weit stärker als unsere Schwimmkünste. Wir sind Schwemmholz im Mainstream. Es prägt uns der Geist der Zeit. Wir realisieren kaum, wie wenig autonom wir sind. Das wächst sich aus zu einer vermeintlich eigenen Überzeugung, die sich in eine Autosuggestion potenziert, die uns einlullt und befeuert.

Tempora mutantur et nos mutamur in illis.

Die Zeiten ändern sich und wir uns in ihnen.  

Einen zweiten Grund sehe ich in der Fremdbestimmung der Politik durch die Technik:

Einfluss neuer Technologien auf die politische Entwicklung

Obwohl ich selber Politiker bin und also an das Primat der Politik glaube, muss ich erkennen, dass es hauptsächlich neue Technologien sind, welche die gesellschaftspolitische Gesinnung prägen und nicht umgekehrt.

 

Wir feiern 2018 vier wichtige Jubiläen und alle hängen sie mit technischen Entwicklungen zusammen:  

  • 500 Jahre Reformation und der Buchdruck,
  • 200 Jahre Frankenstein und die künstliche Intelligenz,
  • 50 Jahre sexuelle Befreiung als Teil der 68 er Bewegung und die Pille,
  • 25 Jahre Consenec und Lokomotiven, Turbinen, Kraftwerke!

Neue Technologien und neue Ideologien bedingen und beeinflussen sich gegenseitig.

  • Die Energie- und Verkehrspolitik der Schweiz als Beispiel

  • Wasser, Eisenbahn und Kohle stärkten die Willensnation

Das traditionelle Energieregime basierte zunächst auf Brennholz und Wasserkraft.

Die neue Technologie der Eisenbahn forderte aber Kohle.

Diese musste importiert werden, bedeutete Auslandabhängigkeit.

Um sie zu überwinden, wurde die Wasserkraft gefördert, die weisse Kohle. Sie industrialisierte ihrerseits die Schweiz.

Eisenbahn und Wasserkraftwerke trugen zur Unabhängigkeit bei:

Die Staumauern und ihr Inneres wurden mit Kathedralen verglichen. Sie wurden zum nationalen Stolz.

Als Symbole stärkten sie den Autarkiegedanken und förderten so den nationalen Zusammenhalt.

Die Auseinandersetzung zwischen Stadt und Land waren zwar heftig, aber der Wille zur Willensnation brachte auch Solidarität mit Rand- und Berggebieten in Form von Wasserzinsen und weiteren Leistungen städtischer Kraftwerke.

So prägten die Technologien der Wasserkraft die schweizerische Gesellschaft des 20. Jahrhunderts.

  • Auto, Erdöl und Strassen bestimmen die Stadtplanung

Das setzte sich im Automobilzeitalter fort. Das Automobil prägte den Zeitgeist und das politische Denken.

Autobahnen wurden durch Parteien gefördert, die stolz auf ihren Fortschrittsglauben waren:

Es war BR Tschudi und die damalige SP, die stolz auf neue Autobahnen waren.  Pläne wie das Y mitten durch die Stadt Zürich entsprachen dem damaligen Zeitgeist.

(Das Projekt in Biel, das jetzt noch verwirklicht werden soll, entspricht ebenfalls diesem Zeitgeist von damals.)

Die Entwicklung des Automobils war verbunden mit dem Aufstieg des Erdöls und umgekehrt:

1970 wurde der gesamte Energieverbrauch der Schweiz zu drei Vierteln von Erdöl bestritten.

Jahrzehnte später herrschten dann Proteste gegen die Vorherrschaft des Automobils und gegen den Strassenbau vor.

  • Eisenbahn, Auto und Mobilität stärken Zentralismus

Eisenbahn und Automobil beschleunigten die Mobilität. Dazu kommt virtuelle Mobilität mit Medien und Internet.

Dies ändert politische Grundsätze, zum Beispiel des Föderalismus:

  1. Die Schulpolitik, die Straf- und Zivilprozessordnungen mussten zentralisiert werden, weil sich die Leute und die Familien mehr und schneller bewegten.

 

Die Politik folgt der Technik, auch bei der Atomenergie:

 

  • Kernspaltung führt zu Parteispaltungen

Die Atomkraft beherrschte ihrerseits seit 1945 die Energiediskussion.

Der Protest gegen atomare Bewaffnung führte zunächst zum Slogan „Ja für die zivile Nutzung der Atomkraft!“, der von Pazifisten an Ostermärschen zelebriert wurde.  Das war die Reaktion auf atomaren Bewaffnungspläne des Bundesrates und den Traum von einer schweizerischen Atombombe.  (NZZ vom

  • Es gab Pläne für ein mit Atomkraft angetriebenes Automobil, ein Atommobil made in Switzerland
  • Angeblich auch solche für ein unterirdisches Atomkraftwerk unter dem Bundesplatz Bern.

Deswegen mutierte die Atom- zur Kernkraft, um Assoziationen zur Atombombe zu vermeiden. Kernkraft versprach, alle Energieprobleme zu lösen.

Kernkraftwerke wurden, von Exekutivmitgliedern der SP in kantonalen Regierungen und im Bundesrat von Willi Ritschard, vehement verteidigt, während die Basis kritischer wurde und erbitterte Kämpfe gegen die zivile Nuklearenergie ausfocht.

Die Parolen an den Ostermärschen lauteten nun:

„Atomkraft nein danke!“  (mit einer Sonne, die auch andernorts als Symbol geschätzt wird)

Die Kernspaltung führte zu Parteispaltungen.

  • Auch die FDP focht Flügelkämpfe aus. Ihr umweltfreundlicher Flügel um Petitpierre oder Nabholz wurde marginalisiert.
  • Bei der SP setzte er sich durch und die Anhänger der Kernkraft wurden marginalisiert.  

In Frankreich ist das etwas anders:

Als mein Vorgänger, der damalige Schweizerische Energieminister, Adolf Ogi, dem Präsidenten von Frankreich, François Mitterrand, die schweizerischen Befürchtungen über französische Atomkraftwerke nahe der Grenze vortrug, antwortete dieser mit den Worten:

„Doutez- vous de la technologie française?“

Und die Diskussion war ultimativ erledigt.

  • Feigenblatt Elektromobilität:

 

Ähnliches scheint sich mit der Elektromobilität abzuspielen:

 

Obwohl mit dem BfE im selben Departement zuhause, pries das ASTRA die Elektromobilität als ultimative Lösung aller Mobilitätsprobleme.

 

Davon, dass die Elektrizität der Herstellung und des Betriebes aus erneuerbarer Energie stammen müsse, war nicht ansatzweise die Rede.  Und: Es stellte sich heraus, dass in den Berechnungen zur „Stromlücke“ völlig vergessen wurde, dass ja auch noch die Elektromobilität gefördert werden soll.

 

Der Glaube an die Elektromobilität als solcher ist auch heute noch recht undifferenziert vorhanden. Davon zeugt das grundsätzliche Ja der Zürcher und jetzt der Berner Stadtregierungen für ein E-Autorennen durch die Stadt. Zwar werden Auflagen zum Abfallregime der Zuschauer erstellt.

 

Doch ob die Herstellung von Autobatterien und das spätere Aufladen aus erneuerbarem oder nicht erneuerbarem Strom stammt, interessiert ganz offensichtlich nicht. Die Verwendung von CO2 relevanter Kohle dafür wir ausgeblendet.

 

Elektromobilität ist vorderhand noch von moralischer Integrität umflort.

 

Technologische Entwicklungen sind kaum im Voraus zu ahnen.

 

So wurde im 19. Jhdt. vorausgesagt, das rasche Wachstum des Verkehrs führe dazu, dass die Städte eines Tages im Pferdemist ersticken würden.

 

Dank der Erfindung der Eisenbahn und der städtischen Strassenbahnen konnte dies abgewendet werden.

 

Dafür entstand eine heftige Diskussion über die gesundheitlichen Schäden, welche die unnatürliche Geschwindigkeit der Eisenbahnen von über 35 Stundenkilometern verursachen würde.

 

Wir kennen die späteren Erkenntnisse über Technologien nicht, von denen wir so überzeugt sind. Die Voraussagen von künftigen Problemen der Energie sind eine einzige Geschichte von Irrtümern:

 

 

  • Wir wissen heute leider mehr und anderes über DDT oder über
  • Röntgenstrahlen als in der damaligen Euphorie des erfinderischen Aufbruchs.
  • Wir hätten schon lange sehr viel mehr über die Gefahren von Asbest wissen können und müssen, wäre die Mehrheit der Entscheidungsträger nicht in einen Technologieglauben verfallen, der sie blind machte.
  • Heute wissen wir noch zu wenig über Nanotechnologie, über nicht ionisierende Strahlen oder über Gifte in den Nahrungsmitteln.

 

Kohle, Öl und Gas

 

Wir sprachen alle von der Endlichkeit von Öl und Gas, vertraten die Peak-Oil-Theorie. Doch in der Zwischenzeit wurden neue Felder entdeckt und Fracking entwickelt, was zwar in höchstem Mass umstritten aber eben doch eine real existierende Tatsache ist.

Jedenfalls: Die Energiepreise stiegen nicht, sie sanken. Wir alle, ich an vorderster Front, sprachen von der Stromlücke„Die Lücke steht vor der Türe!“ hiess es im Parlament. Bis jetzt ist sie noch nicht durch die Türe getreten.

Aber die Warnungen sind im Blick auf die Auslandabhängigkeit immer noch da.

 

Der Einfluss neuer Technologien auf die Politik ist ebenfalls nicht voraussehbar.

Es gibt neue Technologien. Wir ahnen, dass sie die Welt verändern, doch genau wissen wir nichts. Umso heftiger streiten wir über die möglichen Chancen und Risiken.

  • Was werden Cyborgs, die Wesen aus organischen und nicht-organischen Teilen, für die Energie bedeuten?
  • Was die Erschaffung einer neuen Robotergeneration, die als Sklaven des homo sapiens eingesetzt werden? 
  • Werden sie die neuen Herren? Oder die neuen Dominae?
  • Was insbesondere Computerprogramme, die sich selbständig weiterentwickeln und Lösungen schaffen, die zu kennen wir gar nicht fähig sind? 

Schon die viel harmlosere Technik der Digitalisierung hat Einfluss auf die Demokratie und beweist: Technologie verändert Gesellschaft mehr als Politik.

Das beginnt mit harmlosen Beobachtungen:

  • Update von typengenehmigten Maschinen (Tesla)
  • Parteien werden wegen Crowd collection marginalisiert.
  • Bots bei Swiss, Swisscom oder Google entmündigen Kunden zu Deppen. Würde die Verwaltung gegen die Bürger ähnlich vorgehen, würden diese degradiert zu Untertanen und Rechte der Verfassung würden ausgehebelt.

Es gibt gravierendere Befürchtungen:

Digitales Denken ersetzt Grautöne. Schwarz – Weiss statt Differenzierung. Multiple Choice Verfahren entbinden von aktivem Denken. So wird Selbständigkeit durch Abhängigkeit ersetzt. Das wieder bedroht den Gedanken der Demokratie.

Und das Schlimmste:

Es gibt Computer, die Reden halten können (NZZ 28. August). Das wird die Redenschlachten im Parlament revolutionieren. Und das Niveau wird sich dramatisch verändern. (In welcher Richtung wohl?) Ich selber habe beschlossen: die Rede vor Ihnen ist die letzte. Ich habe alle Anfragen seit dieser erschreckenden Nachricht abgelehnt und meine Agentin verweist nun auf ein Computerprogramm.

Letztlich schwimmen wir mit diesen Ängsten und auch mit den Erwartungen wieder in Strömen,

  • die eine Strömung heisst Pessimismus,

  • die andere Optimismus.

 

Ob die Voraussagen und die Planung verlässlich gewesen waren, wird erst die Zukunft zeigen.

 

Beispiel: TA-Swiss

Es gibt eine Stiftung, die neue Technologien zuhanden der Politik auf ihre Chancen und Risiken untersucht, TA-Swiss (Technikfolge Abschätzung), deren Arbeit ich von innen verfolgen kann.

Sie untersucht Technologien wie Pränatale Implatationsdiagnostik, social freezing, Freaking, Block chain, Digitalisierung und Demokratie etc. Die Auswahl der Experten, welche die Erwägungen anstellen, zeigt, wie selbst professionelle Ethiker eben doch immer wieder gefangen in einer Überzeugung sind. Anders wäre das Ringen um die Zusammensetzung der Experten innerhalb der Stiftung nicht zu erklären.

Die Möglichkeiten gesellschaftspolitischer Einschätzung und Planung müssen also relativiert werden.

Gewiss gab es immer wieder Propheten, Schriftsteller, Philosophen oder Politiker, die eine Entwicklung über Jahrhunderte richtig voraussahen.

Doch das prozentuale Verhältnis zu all den anderen Voraussagen anderer Propheten, die nicht eintraten, entspricht wohl demjenigen eines Samens, aus dem tatsächlich eine neue Blume sprießt, zu den Millionen von Samen, die im Wind verfliegen.

Ich respektiere gewiss die Arbeit von Denkfabriken oder Think Tanks, doch mein Vertrauen, dass sie uns die Zukunft über längere Zeit verlässlich voraussagen, ist gering. Und zwar umso geringer, als sie stets nur heutige Technik extrapolieren. Auf ihren power point Präsentationen sind Autos zu sehen, die einfach etwas flachere Karosserien aufweisen. Die Phantasie scheint mir manchmal etwas gar dürftig. Davon, wie wir Menschen uns selber verändern werden, ist nämlich nie die Rede. Der Vorwurf an Politiker wie Helmuth Schmidt, die sich über die Frage nach Visionen lustig gemacht haben, verliert da etwas an Berechtigung.

Zeitliche und ethische Dimension der Politik

Wir Menschen sind derart im Jetzt gefangen, dass wir die Zukunft nur aus unserer jetzigen Perspektive zeichnen.

  • Wir projizieren unsere heutigen Wünsche oder auch Ängste.
  • Wir verharren selbst in den kühnsten Prognosen doch immer nur in der Gegenwart, die uns prägt.

Je weiter der Zeithorizont, desto unsicherer die Planung. Auf tausend oder gar eine Million Jahre planen zu wollen, ist absurd und vermessen.

  • Beispiel: Endlagerung radioaktiver Abfälle

Hochradioaktive Abfälle sollten eine Million Jahre sicher gelagert werden können. Nach über tausend Jahren sollten sie noch rückholbar sein. Diesen Zeitraum kann sich kein Mensch vorstellen.

Die Schweiz wird in der heutigen Form nicht mehr existieren.

Wie kurzsichtig mutet es da an, wenn heute über die Endlagerung der Abfälle aus der Perspektive von Kantonsgrenzen gestritten wird.

Wie können wir mit den Generationen, die in tausend Jahren leben werden, überhaupt kommunizieren?
Die NAGRA (die nationale Genossenschaft, die mit der Lagerung nuklearer Abfälle betraut ist) hat eine ganze Bibliothek mit Dissertationen über diese Problematik.

(Auf einer Dissertation steht auf der ersten Umschlagseite ein Hinweis der Druckerei: „Die Tinte dieser Arbeit wird bei optimalen Bedingungen etwa 200 Jahre lang lesbar sein.)

  • Beispiel Energiestrategie

Die Energiestrategie 2050 avisiert einen Zeithorizont, den ich physisch und die heutigen politischen Akteurinnen nicht mehr im Amt erleben werden.

(2050 ist zwar ausgerechnet jenes Jahr, in welchem zum ersten Mal ein unsterblicher Mensch geschaffen werden kann. Dazu wird aber wohl kaum ein Hundertjähriger auserwählt.)

Die Erkenntnis daraus?

Das soll weder ein resignatives Gejammer und schon gar nicht ein Plädoyer gegen politische Planung sein. Aber diese Überzeugungen führen zu einer Verlagerung und zu einer anderen Gewichtung des politischen Denkens und Arbeitens:

Nicht die zeitliche Dimension des Planens, sondern das qualitative Element der Arbeit jetzt und hier ist der entscheidende Wert.

Wir konzentrieren uns bei Planungs- oder Zukunftsdiskussionen stets darauf, was wir bewusst anstreben. Unser real praktiziertes Verhalten wirkt sich für die Zukunft entscheidend aus, auch ohne einen eigentlichen Plan.

  • Die Römer planten nicht, dass Istrien zur Einöde werde. Aber sie bewirkten es.
  • Die Sowjets planten nicht, dass der Aralsee versiegen werde. Aber sie bewirkten es.
  • Als Asbest zur Isolation vorgeschrieben wurde, plante niemand tödliche Krankheiten. Aber das wurde dadurch bewirkt.

Obwohl also die damals Verantwortlichen diese Folgen gar nicht planten und nicht wollten, haben sie die Zukunft aktiv und, man muss es sagen, nachhaltig gestaltet („nachhaltig“ im wertneutralen Sinn des Wortes).

Die ethische Qualität jeder wissenschaftlichen, technologischen, wirtschaftlichen und politischen Arbeit liegt deshalb in der Verantwortung unseres heutigen Tuns. Das erscheint Vielen als bieder. Lieber denken sie ganz weit voraus: 

  • Die Silicon Valley Elite plant ein Überleben ausserhalb der Erde.
  • Musk hat einen Tesla in den Weltall geschossen, um den Tourismus auf den Mars zu lancieren.

(Das Schweizerische Postauto möchte das auch, muss sich aber noch einige Subventionen sichern.)

Aber: Nach welchen Kriterien tun sie das? Mit welchem Menschenbild? Mit welchem Ideal einer Gesellschaft?

Ich bin überzeugt, dass diejenigen, die nicht mehr im Hamsterrad des Berufslebens eingespannt sind, einen weiteren Horizont abmessen können, dass sie mehr sehen.

Dazu braucht es eine gewisse Distanz und eine gewisse Erfahrung.

Ich danke Ihnen, dass Sie diese weitergeben.