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Wie weiter nach dem Atomausstieg?


Moritz Leuenberger - Referat, Universität Zürich, 16. November 2011

Video der Rede

Im Grunde genommen ist das eine Suggestivfrage, nämlich eine Frage, die von einem nicht bewiesenen Sachverhalt ausgeht, einem, der eine blosse Hypothese darstellt. In einem Strafprozess wäre die Frage unzulässig.

In der Energiedebatte aber ist sie nicht nur zulässig, sondern sie ist gebietet sich in mehrfacher Hinsicht.

Wir müssen aus der Atomenergie aussteigen

Was war das Motiv des BR zum Ausstieg? Antizipation einer Volksabstimmung oder wirkliches Umdenken nach Fukushima? Motivforschung in der Politik ist stets inquisitorisch.

Entscheid war jedenfalls richtig:

  • Risiko, künftige Generationen (Spämann). Argumentation statistischer Wahrscheinlichkeit: alle 1'000 Jahre
  • Endlagerung nicht gelöst (ist auch beschlossen, aber nicht vollzogen)

Der Atomausstieg ist also beschlossen, aber keineswegs vollzogen.

Ein weiterer energiepolitischer Parameter ist ebenfalls beschlossen, aber nicht vollzogen:

Reduktion des CO2 Ausstosses um 20% bis 2020 (gemessen an 1990)

Gründe:

  • Klimapolitik
  • Endlichkeit der Reserven
  • Risiko, Golf von Mexico / Produktionsverhältnisse in Afrika

(gilt allerdings für viele Rohstoffe, auch für Uran oder den Materialien für Handys etc)

Die CO2 Reduktion ist ebenso als ein kategorischer Imperativ anerkannt:

  • Action, action! (Doch: keiner wagt, der erste zu sein.)
  • CO2 Gesetz in CH und EU,
  • aber vollzogen ist er nicht und die Ziele sind nicht erreicht, vor allem nicht in der Mobilität.
  • Die beschwörenden Appelle von Kopenhagen und Cancun erweisen sich als Modeströmung, die am verebben ist.

Zudem:

  • Beide Ausstiege, der Atomausstieg und die Befreiung unserer Ölabhängigkeit, sind überall dort, wo sie beschlossen wurden, nur Mehrheitsbeschlüsse und es lauern einstweilige Minderheiten darauf, dass sich die Zeiten und die Mehrheitsverhältnisse ändern.
  • Dazu kommt, dass europa- und weltweit die Mehrheitsverhältnisse anders sind.
    Nur zaghafter Versuch einer einheitlichen Energiepolitik der EU. Meist national gestaltet (das sagt auch Oettinger selber). Weltweit kann von einheitlicher Energiepolitik ohnehin keine Rede sein: 
  • Atomenergie:
  • F (doutez-vous de la téchnologie française?),
  • NL (vgl. mit D: da gibt es ja keinen kulturellen Unterschied: zeigt Fragilität des Ausstiegsbeschlusses,
  • GB
  • Osteuropa, Tschechien: massive Förderung der Kernkraft.
  • Weltweit: elf neue KKW in Ägypten etc
  • Fossile Brennstoffe:
  • Entschädigungsforderungen Saudi-Arabien bei den Klimaverhandlungen
  • Die Interessen der produzierenden Länder sind gross.
    Ist auch systemstabilisierender Faktor des Öls: Söldner in Libyen und SA
  • Interessen der Länder aus dem Westen, die dort investiert haben. Deswegen zunächst zögerliche Unterstützung des arabischen Frühlings

  Eine ethisch begründete Priorität zwischen den beiden Ausstiegen ist schwierig zu festzulegen.

Vor Fukushima war CO2 Verringerung jedenfalls wichtiger. Jetzt – in CH und D - der Atomausstieg.

In G 20 Schlusserklärung wird Klimapolitik nur noch rudimentär erwähnt.

Das ist aber eine Beobachtung wie eine Meinungsumfrage und genügt einem ethischen Diskurs nicht.

Was ist wichtiger?

  • Überschwemmung der Malediven (in Kopenhagen und Cancun erfolgte von einem Staatspräsidenten der Vergleich mit dem Holocaust!)? oder
  • Eintritt des Risikos eines Atom GAUs?

Als Krise bezeichnen wir Phasen, in denen wenn etwas stirbt, aber nichts Neues gebiert. Der Ausstieg aus der Atomenergie macht erst dann Sinn, wenn wir imstande sind, etwas Neues entstehen zu lassen. Sonst geraten wir in eine Krise.

Alternative Energien

 

  • Auch sie weisen Risiken auf:
  • Geo: Erdbeben (BS)
  • Wasser: Staudamm

Immerhin: nicht Generationen übergreifend; überblickbar, also akzeptabel

  • Zielkonflikte
  • Landschaftsschutz bei Sonne, Wind und Wasser (bis jetzt Bezahlung dafür, dass Greina nicht unter Wasser)
  • Lärm, Fauna in Landschaft, Naturschutz
  • Ethisch begründbar?
  • Biotreibstoffe
  • Neue Hoffnungen oft nicht durchdacht und in Euphorie empor gejubelt: Schiefer.
  • Meist auch Verdrängung. CO2 storage

 Bedarf, Mass, Verschwendung

 

Einerseits: Menschenrecht. Kochen, Sicherheit (Afrika)

Andererseits: Masslosigkeit in Industrienationen. Ökologischer Fussabdruck zu wesentlichem Teil auf Energiekonsum zurück zu führen.

Verschwendung elektrische Apparate (auch Computeranlagen oder – harmloser – Rohrbläser), v.a. aber: Mobilität.

Mentalität der Piratenpartei: Es gibt kein geistiger Eigentum, was im Netz ist, gehört auch inhaltlich mir. Alles gehört mir. Ähnliche Haltung gegenüber Energie.

Deswegen Ausdruck „Gier“ bei Titelwahl.

Status quo ist kriminell:

Sowohl Atomausstieg, als auch CO2 Reduktion zu fordern und dennoch so zu leben, wie wir das tun, ist verlogen.

Könnten wir also

  • sowohl aus Atomkraft aussteigen,
  • 20% CO2 reduzieren
  • und mit bisherigem Komfort leben?

Bereits nach Tschernobyl wurden entsprechende Szenarien errechnet (1986/87).

2007 wurde errechnet, ob die Erreichung des Klimaziels und ein AKW Ausstieg bis 2045 (!) machbar seien.

Immer bestand das Resultat darin, dass dies zwar möglich sei, dass aber sowohl

  • eine 100%ige Lenkungsabgabe auf fossilen Energien als auch
  • auf Elektrizität, sowie zusätzlich
  • Subventionen und Vorschriften zugunsten effizienter Technologien nötig wären.
  • Die politisch wichtigste Voraussetzung wurde regelmässig auch genannt, nämlich ein breiter gesellschaftlicher Konsens.

Das ist sehr viel und die ersten Reaktionen auf Vorschläge seit dem beschlossenen Ausstieg lassen nicht unbedingt darauf hoffen, dass sie allesamt kumulativ in Erfüllung gehen. Allein schon die vom Ständerat angeregte Umwidmung der CO2 Abgabe für erneuerbare Energien erntete den harschen Protest von Economie suisse.

Aber ohne Investitionen ist ein Ausstieg möglich.

Die IEA rechnet mit einer drastischen Verteuerung der Energie wegen des Atomausstieges einzelner Länder und wegen der unterlassenen Investitionen in den Ölförderländern in Nordafrika. Die Nachfrage werde sich bis 2035 um 40% steigern.

Rolle des Staates, der Wirtschaft, des Einzelnen

Die erste Frage in Interviews zu Umwelt- und Energiefragen ist ganz regelmässig: „Was tun Sie ganz persönlich für den Umweltschutz oder was tun Sie persönlich, um der Energiekrise zu begegnen?“

  • Was tust du?
    • Das entspricht einer entpolitisierten Zeitströmung. Was in anderen Sektoren, z.Bsp. dem Strassenverkehr, undenkbar wäre, wird bei der Energiefragen und dem Umweltschutz in den Vordergrund gestellt.
    • Es besteht  
      • oft die Gefahr der Naivität (Ich tu was für die Umwelt, ich besuchte Knut)
      • George W. Bush ist ein Grüner: Er hat Sonnenkollektoren auf der Ranch.
      • Gefahr der Überforderung in der Sicht der Zusammenhänge: Biotreibstoffe: Viele waren stolz. Elektrofahrzeuge: viele sind stolz, weil ihnen das so suggeriert wurde.
      • Ist es jetzt umwelteffizient, ein altes Auto ohne Katalysator zu verkaufen?
      • Bestellung von grünem Strom. In Wirklichkeit buchhalterischer Akt, Zusammensetzung der Herkunft wird kaum verändert; allenfalls langfristig; einstweilen aber nur Subvention, zwar auch der Forschung (?). Trotzdem bezieht der „grüne“ Konsument Atomstrom.
  • Aber es steht ausser Zweifel: Es braucht den Einsatz jedes Einzelnen und der fehlt heute weitgehend
    (Drucker und Computer abstellen etc).
  • Wirtschaft?
  • Nachhaltige Wirtschaftsethik. Funktioniert auch. Nachhaltigkeit ist in Mode. Deswegen zum Teil Nepp: Fonds ZKB.
    Aber: Macht der Konsumenten. Verantwortung wird von Wirtschaft häufig wahrgenommen: Nachhaltigkeitsstrategien etc.
  • In Frage des Atomausstiegs wären in erster Linie die Elektrizitätswerke selber gefordert. Sie seien dazu – ich bin jetzt Zeitungsleser – im Dialog mit dem BFE nur zögerlich bereit, was Investitionen in den nächsten Jahrzehnten angeht. Sie sind aber mehrheitlich im Besitz von Kantonen und man müsste meinen, die energiepolitische Steuerung komme deren Regierungen zu und nicht den Managern.
  • Freiwillige Massnahmen der Wirtschaft: Stiftung Klimarappen, Verträge Zementindustrie mit BFE.
    • Ohne diese Pionierarbeit wäre späteres CO2 Abgabe nicht möglich gewesen,
    • aber ohne das Damoklesschwert der Abgabe wäre das freiwillige Vorangehen nicht möglich gewesen

 

  • Was soll der Staat tun?
  • Verbindliche Massnahmen zur Effizienzsteigerung
    (nicht nur um den beiden Zielen Atomausstieg und CO2 Reduktion nachzukommen, sondern auch, weil sich die Energie massiv verteuern wird: Die IEA rechnet mit massive zunehmender Nachfrage nach Kohle, nach Öl bis zum Jahr 2035 um 40 – 50%).
  • Aufklärung: Bsp. ökologische Uhr
  • Direkte Förderung (vgl Biotreibstoffe) oder abstrakte Vorgaben? Vgl.Österreich: 10% Beimischungszwang; nachher erfolgte bessere Erkenntnis.
  • Soll Elektromobilität gefördert werden oder soll einfach vorgeschrieben werden, dass der CO2 Austoss verringert werden muss?
    (Sie wurde nicht berechnet bei Studie Stromlücke)
  • Jeder gräbt, wo er steht oder alle?
  • Investition in Grundlagenforschung. Subventionen können auch zu Strukturerhaltung von Energietechnologien führen. Sie dürfen langfristig nicht neue Möglichkeiten, die wir alle noch nicht kennen, verhindern.
    • (Bioenergie, Algen, die Sonnenlicht in Energie umwandeln
    • Transport von Energie ohne Verluste
    • Speicherung
    • etc
  • Welche Bedeutung kommt der Autarkie zu?
    Zu Beginn der Amtszeit: Anfrage durch Rainer E. Gut, was ich zu Verkauf eines Unternehmensteils der Elektrowatt. Gegen Ende Amtszeit: Fusion zu Alpiq durch neue Leuchtschrift an vorherigem Aare-Tessin Werk erfahren.
    Autarkie ist kein Axiom mehr. Für die Versorgung mit Lebensmitteln gibt es auch keinen Plan Wahlen mehr.
    Versorgung durch Ausland wir immer möglich sein. Aber: Zu welchem Preis?
    Der finanzielle Preis ist das eine. Das andere ist der Verlust der Autonomie bezüglich Herkunft der Energie, das heisst der Import von Energie, darunter auch Atomstrom oder solchem aus Kohlekraftwerken.

 

Allen (Individuum, Wirtschaft und Staaten) ist gemeinsam:

Gehandelt wird immer erst, wenn der andere den ersten Schritt tut.

Gebot des Vorangehens.

Wie weiter?

Alle sind abhängig vom real existierenden Atomstrom und vom Öl.

Auch diejenigen, die sich ehrlich und überzeugt dagegen wehren und versuchen, ein „ökologisch verantwortliches“ Leben zu führen.

Wie löst sich der Einzelne von dieser Schuld?

Durch individuellen Einsatz, durch politisches Engagement.

Motivation ist verschieden.

  • Das kann auch die Erwirkung von Subventionen oder Forschungsbeiträgen sein. Die Cleantechfraktion ist in den letzten Wahlen grösser geworden.
  • Das kann auch die politische Opportunität sein. Das ist nicht nur verwerflich. Eine Wende braucht auch Wendehälse.
  • Dazu gehört auch die realpolitische Erkenntnis, dass
  • Kompromisse inhaltlicher Art geschlossen werden, die beide Ziele sowohl Atomausstieg als auch Klimaziel verwässern. Das sind Kompromisse
  • Inhaltlicher Art und
  • auf der Zeitachse
  • Vermehrte Importe, aber wenn wir uns nur darauf verlassen, ist das verantwortungslos
    • Nicht nur weil in Zeiten der Energieknappheit die Erpressbarkeit und die tatsächlichen Erpressungen steigen werden, und
    • nicht nur weil, dies zu einer Verteuerung der Energie führen kann, ähnlich dem starken Franken, sondern
    • weil es auch unsolidarisch ist: DESERTEC in Kombination mit Wind im Norden, aber hier keine Investitionen und Widerstand gegen Übertragungsleitungen.
  • Aber der Weg wird gegangen. Er ist längst eingeschlagen:
  • Ökologische Steuerreform. Ist faktisch am laufen: Staaten brauchen Geld. Belastung bei fossilen Brennstoffen ist akzeptierbar.
  • Energiewende ist eine langsame Neuausrichtung und nicht ein radikaler Kurswechsel von einem Tag auf den andern.

Als Krise bezeichnen wir Phasen, in denen wenn etwas stirbt, aber nichts Neues gebiert. Der Ausstieg aus der Atomenergie macht erst dann Sinn, wenn wir imstande sind, etwas Neues entstehen zu lassen.

Sonst geraten wir tatsächlich in eine Krise.