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Theatertreffen 2001 Bern


24.6. - Begrüssung von Bundespräsident Moritz Leuenberger am Theatertreffen in Bern

Bern hat zwei grosse Theater. Das andere ist das Bundeshaus, aus welchem ich gerne zu Ihnen gekommen bin, um Ihnen meine Grüsse zu übermitteln.

In der Tat haben Politik und Theater vieles gemeinsam, in der Form und im Inhalt.

Das Theater bringt auf der Bühne, also einem begrenzten Raum, in einer ebenfalls begrenzten Zeit eine Geschichte, ein Anliegen, eine Überzeugung, einen Konflikt oder eine Kritik zum Ausdruck. Dazu bedient es sich der Dramatik, der Zuspitzung, der Symbolik, des Spiels.

Das ist in der Politik nicht anders. Auch wir haben bloss eine begrenzte Zeit zur Verfügung, um unsere Anliegen zu vermitteln – im Fernsehen sind das meist nur wenige Sekunden und im Parlament ist die Redezeit beschränkt. Auch wir haben eine räumlich begrenzte Bühne, meist bloss ein Rednerpult, um uns zu äussern. Auch wir bedienen uns der Rituale und der Symbolik, um unsere Gefühle und unsere Meinungen weiter zu geben.

So soll es durchaus auch ein Symbol sein, wenn ich als Bundespräsident an dieses Theatertreffen komme, nämlich ein Symbol dafür, dass die offizielle Schweiz das Theater als eine der wichtigsten kulturellen Grundlagen für den gesellschaftlichen Dialog betrachtet und ihm seine Ehrerbietung darbringen möchte. Rolf Liebermann hat zwar einmal gesagt: “Wenn sich Politiker in die Kunst einmischen, ist die Katastrophe schon da.” Aber ich mische mich ja nicht ein, ich eröffne nur.

Ich kenne viele Politiker, die in Interviews gestehen, eigentlich wären sie lieber Schauspieler geworden. Wir fragen uns, warum landeten sie denn doch in der Politik?

Wahrscheinlich deshalb, weil eine Bedingung für den Schauspielerberuf eine Ausbildung ist und dass diese, wie Sie alle wissen, äusserst anspruchsvoll ist. (Bundespräsident dagegen ist einer der Berufe, für welche es keinerlei Ausbildung braucht.)

Dagegen kenne ich kaum einen Schauspieler, der gesteht, eigentlich wäre er lieber Politiker geworden. Mit gutem Grund.

Er ist nämlich bereits Politiker.

Denn Theater nimmt Einfluss. Theater nimmt Stellung. Theater äussert Kritik, betreffe sie das Verhalten von Menschen, die Politik, die Wirtschaft oder die Medien.

Theater ist Aufklärung mit dramatischen Mitteln. Das jedenfalls ist meine Hoffnung, denn ich weiss so gut wie Sie, dass Theater gewiss auch die Mittel des Missbrauchs oder der Manipulation kennt, genauso wie die Politik.

Doch hier und heute darf ich das Wort Theater mit Aufklärung gleichsetzen, weil dieses Treffen sich der Qualität verschreibt, auf die ethische und handwerkliche Komponente des Berufes Wert legt und den Anspruch an seine Arbeit nicht am Verkaufswert misst. Oder jedenfalls nicht nur.

Ich bin Theaterzuschauer und als solcher habe ich noch eine weitere Hoffnung, nämlich, dass dieses Treffen mehr als ein Wettbewerb sei.

Gewiss, ein Wettbewerb ist es auch; es gibt eine Jury, es gibt Ränge. Dennoch:

Ich wünschte mir, dass auch das Experiment eine Chance habe und nicht nur die Perfektion. Denn die Perfektion folgt vorzugsweise erprobten und bewährten Wegen: Je perfekter, desto geringer das Wagnis. Jedes Wagnis birgt auch das Risiko des zweiten und letzten Ranges. Aber es gibt im Leben ja nicht nur die Rangfolge der Profis. Es gibt auch uns Zuschauerinnen und Zuschauern, die wir die Lust und die Spielfreude der TheatermacherInnen erleben. Der Funke der Freude springt gelegentlich bei imperfekter Technik schneller auf uns über als bei brillanter, mitunter jedoch kalter Professionalität. Ein Soufflé, das zwar durchhängt, aber von einem fröhlichen Koch mit Liebe und Begeisterung präsentiert wird, gefällt eben doch besser als eines mit zwar vollendet gehobener, dunkelgoldener Oberfläche, jedoch dargebracht in gourmettempelhafter, steifer Zelebration.

Dann habe ich als Vertreter des gastgebenden Landes noch eine weitere Hoffnung:

Ich hoffe, dass es nicht nur ein Treffen der Schulen ist, sondern auch ein Treffen

  • der Schüler und
  • der Lehrer und
  • von uns Zuschauern.

Theater ist ja für uns, die wir es besuchen, ein Ort, wo wir uns inspirieren lassen. Theater ist wie jede Kunst, wie jede Kultur nie etwas Abgeschlossenes, sondern regt uns zu eigenen Gedanken und Erkenntnissen an, Gedanken, die vielleicht der Autor eines Stückes oder sein Regisseur, seine Spieler und Spielerinnen selber gar nicht gehabt haben.

An diesem Festival sind die Spieler auch Zuschauer, und ich hoffe, sie können dieses kreative Weiterspinnen von dargestellten Gedankengängen und Assoziationen so betreiben und geniessen, wie wir im Publikum das immer können.

Und ich hoffe, sie können dies auch “schulübergreifend”, “theaterübergreifend” und “länderübergreifend” tun.

Dann nämlich leisten Sie den entscheidenden Beitrag an die Politik, nämlich

Grenzen zu überwinden.