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Der talentierte Herr Leuenberger


Der Altbundesrat ist auch ein Moderator – Moritz Leuenberger als Gastgeber in der neuen Talkshow des Zürcher Bernhard Theaters.

interview nzz 12 2015

«Ich hatte immer Distanz zu meiner Rolle»: Moritz Leuenberger. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Der Bernhard-Apéro wird zur Bernhard-Matinee: Die vor vierzig Jahren erfundene Talkshow ist wiederbelebt worden. Als Moderator amtet Moritz Leuenberger. Er weiss aus Erfahrung: Theater und Politik haben viel gemeinsam.

Herr Leuenberger, Ihr neuer Arbeitsplatz ist der alte: das Theater. Sie sagten einmal: «Es gibt in Bern zwei grosse Theater, das andere ist das Bundeshaus.» Was reizt einen ehemaligen politischen Hauptdarsteller an der Rolle des Moderators?

Moderator ist eine vollkommen neue Rolle. Ich bin zwar schon als politischer Kabarettist oder Schauspieler aufgetreten, doch das ist näher am früheren Beruf. Ich weiss noch nicht, wie gut ich den neuen Job beherrschen werde. Es ist ein Versuch, ein Experiment.

Abgesehen vom unsicheren Ausgang, was lockt Sie am Format des Bernhard-Apéro, den Hans Gmür erfunden hat?

Mich haben Moderatoren, denen es gelingt, eine Vertraulichkeit mit den Interviewten herzustellen, schon immer interessiert. Es ist eine Kunst, sich selbst in den Hintergrund zu stellen und dabei die eigenen Fähigkeiten nur so einzusetzen, dass vor allem der andere zu Wort kommt.

Die Rolle des Moderators ist neu für Sie? Die Öffentlichkeit geht davon aus, dass im Bundesrat das Moderieren eher gepflegt wird als das persönliche Ego.

Politik besteht aus beidem. Für den Kompromiss muss man sich moderat zurücknehmen. Aber Politik und Selbstdarstellung sind enge Verwandte. Ein Politiker sollte sich ehrlich gestehen: Sich vor Publikum zu gefallen, sich darzustellen, gehört auch zu seiner Motivation.

Wenn Politik und Theater verwandt sind: Wie wurden Sie denn als Theaterbesucher von der Bühne in Ihrer politischen Arbeit beeinflusst?

Natürlich nicht so, dass sich eine bestimmte Szene gleich in eine Verordnung verwandelte. Aber die Affinität zum Schauspiel beeinflusst das eigene Denken und Fühlen. Das fliesst dann wieder in den politischen Alltag. Man sagte mir als Bundesrat oft: «Wie wunderbar, dass Sie noch Zeit finden, ins Theater zu gehen.» In Wirklichkeit gehörte das aber zu meinem Beruf. Jeder Kino- oder Theaterbesuch inspirierte mich immer auch für meine Arbeit.

Konkret?

Es sind eher subkutane Vorgänge. Wer ins Theater geht, ist ja aufnahmebereit und wird womöglich die eigene Meinung schärfen. Abgesehen davon, was ich jetzt mache, ist nicht Theater. Es ist Moderation, das Experiment einer kulturellen Show. Regelmässig werden, durch die Filmkritiker Alex Oberholzer und Wolfram Knorr, die meine Gäste sind, Filme vorgestellt. Aber es werden sich auch Kabarettisten oder Akrobaten mit Ausschnitten aus ihrem Programm präsentieren. Der Sinn der Show ist es, die Breite des gegenwärtigen Angebots in Zürich vorzustellen.

Sie und Ihr Team wählen die Gäste aus. Gibt es Wunschkandidaten, in ferner Zukunft, vielleicht Politiker?

Je nach Aktualität werden das gelegentlich auch Politiker oder Menschen aus Wirtschaft und Medien sein. Emil war mein erster Gast, und die kommenden Gäste diesen Sonntag sind Massimo Rocchi, Sabine Gisiger und Ruth Dürrenmatt. Jede und jeder von ihnen ist ein Wunschkandidat.

Kann man sich bei Ihnen melden?

Schon, aber vorläufig sind es eher wir, die suchen.

Sie wurden in Deutschland 2003 für die beste politische Rede des Jahres im deutschsprachigen Raum, «Das Böse, das Gute, die Politik», mit dem Cicero-Preis ausgezeichnet. Wann haben Sie Ihr dramatisches oder rhetorisches Talent selber schätzen gelernt?

Nun, ein Politiker, der nicht reden kann, ist vielleicht doch ein Widerspruch in sich selbst. Ich schrieb meine Reden selber, das verlieh ihnen etwas Persönliches. Man hat diesbezüglich von mir auch immer mehr erwartet. Und Erwartung setzt einen ja auch unter Druck, das ergibt eine Eigendynamik. Es hat sich also ganz einfach so ergeben.

Sie gingen schon als junger Mann regelmässig ins Theater?

Aber hoffentlich! Das finde ich nichts Besonderes. Man geht ins Theater oder ins Kino.

So selbstverständlich? Ich vermute, wenige Politiker haben diese Affinität.

Ich habe im Bundeshaus nun einmal den kulturell interessierten Städter repräsentiert. Natürlich sind dort Fussballspiele beliebter als Ehrungen von Theaterschaffenden, doch das widerspiegelt einfach die Verschiedenheit unserer Gemeinschaft.

In Ihrer Abschiedsrede aus dem Bundesrat sagten Sie: «Wir treten auf, wir spielen, wir treten ab.» Andernorts: «Die Welt ist eine Bühne, das Leben ein Auftritt.» Wer solche Sätze sagt, muss zu dem, was er ist oder tut, einige Distanz haben.

Schon im Amt hatte ich eine kritische Distanz zu meiner Rolle. Das ist mir nicht immer gut bekommen. Insbesondere die Ironie oder Selbstironie kamen bei den Zuhörern oft nicht an, und bei Journalisten noch weniger. Sie wollen die Rolle des Politikers fixiert haben, und wenn dieser die eigene Rolle kritisch hinterfragt oder sich gar lustig darüber macht, ist er ihnen suspekt. Darüber bin ich sehr oft gestolpert. Heute, fünf Jahre später, bin ich von meiner Rolle noch weiter entfernt, analysiere sie, auch öffentlich, und merke: Das interessiert die Leute! Ich habe für die Zürcher Festspiele einen Text über Machiavelli geschrieben und dort thematisiert, dass ich heute machiavellistische Abläufe in meiner eigenen Politik entdecke, die ich im Amt gar nicht realisieren konnte – weil ich mich mit der Rolle derart identifiziert habe.

Machiavellistische Abläufe?

Ich stelle heute fest, dass ich des Öfteren, um einen legitimen Zweck zu erreichen, an der Wahrheit vorbeiglitt. Ja, sogar das Gesetz habe ich nicht immer eingehalten. Ich kann aus der Distanz meine damalige Rolle neu beurteilen und mache das heute zum Gegenstand öffentlicher Auftritte. Ich erkenne dabei selber etwas, und gleichzeitig stösst es auch auf grosses Interesse.

Die fehlende Distanz des Politikers zu seiner Rolle spielt sogar in einem Milizsystem?

Der Milizparlamentarier identifiziert sich genauso sehr mit seiner Rolle wie der Berufspolitiker. Ich habe mich auch schon gefragt: Wusste Tony Blair damals, dass es im Irak keine Massenvernichtungswaffen gibt? Oder hat er es sich eingebildet, weil er derart beseelt war, gegen das «Böse» etwas tun zu müssen? Als Politiker ist man gefangen in seiner eigenen Mission.

Das sind starke Worte: Wäre Ihre Politik erfolgreicher gewesen, wenn sie von dieser Hybris frei gewesen wäre?

Es geht nicht nur um Hybris, es kann auch das Gegenteil sein. Aber jetzt wird es mir etwas gar persönlich.

Dann zum Schluss: Ist die Schweizer Politik theatralisch?

Jeder Auftritt im Nationalrat ist ein Bühnenauftritt. Wenn dort Pfarrer Sieber durch ein Schweizerkreuz blickt, schafft er es in die «Tagesschau». Oder Bastian Girod stellte sich nackt vor ein Polizeiauto und ist prompt gewählt worden. Wer gehört werden will, der muss zuerst gesehen werden, das ist so. Aber letztlich geht es um die inhaltlichen politischen Anliegen, und die dürfen durch die Show nicht verdrängt werden.

Ist das Schweizer Theater politisch?

Aber gewiss. Es schärft das Bewusstsein für öffentliche, gesellschaftlich relevante Problematiken. Ich denke im Schauspielhaus Zürich zum Beispiel an die aktuellen Inszenierungen der «Zehn Gebote» oder an den «Volksfeind». Gut, das ist nicht immer in meinem Sinn, aber politisch ist es trotzdem.

 

Interview: Daniele Muscionico – Zürich,

Matinee statt Apéro

Berhard Theater Matinée - Programm

1974 gründeten Hans Gmür und Karl Suter die Live-Talkshow «Bernhard-Apéro». In 342 Ausgaben empfing Gmür im Bernhard-Theater Grössen aus Politik, Wirtschaft und Kultur zu Gesprächen über Gott und die Welt. 1998 fand der letzte «Apéro» statt, mit Moritz Leuenberger als Gast. Ein fast nahtloser Übergang also, wenn der Altbundesrat nun in der «Bernhard-Matinee» Gastgeber ist. Bis im Sommer 2016 sind sechs Ausgaben der «Matinée» geplant.